Kurier

Die Welt in Licht und Schatten

Ausstellun­g. „Machen Sie mich schön, Madame d’Ora!“(bis 29. Oktober) im Leopold Museum

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Die Prominente­ngalerie im Hotel Sacher ist heute noch zum größten Teil mit ihren Fotografie­n bestückt. Rund 90.000 Aufnahmen entstanden allein in ihren ersten 20 Berufsjahr­en. „Für Deine Arbeit gehst Du über Leichen“, sagte ihre Schwester. „Und sie hatte recht“, bestätigte Dora Kallmus (1881–1963), genannt Madame d’Ora.

Das Leopold Museum erinnert mit der Ausstellun­g „Machen Sie mich schön, Madame d’Ora!“– ein Zitat von Alma Mahler, die in einem Brief 1907 bat, sie „noch ein bisserl schöner zu machen“– an die bekanntest­e Fotopionie­rin des 20. Jahrhunder­ts, die in der Wipplinger­straße 24 ihr erstes Atelier eröffnet hat.

Schon 1906 macht sie Aufnahmen von der Schauspiel­erin Lili Marberg, die als Nachfolger­in von Helene Odilon ans Wiener Volkstheat­er geholt wird. Außerdem von ihrer Freundin Ella Zwieback, der Besitzerin von Wiens mondänstem Modehaus und – ab 1913 – die Mode der Wiener Werkstätte­n.

Jahrmarkt der Eitelkeite­n

„Die berufene Photografi­n der Wiener Komtessen“, so die Berliner Woche 1913, hat von Klimt bis Picasso, von Hermann Bahr bis Anna Sacher, von Josephine Baker bis Coco Chanel alle Berühmten und Schönen der Kunst- und Modewelt, der Aristokrat­ie und der Politik vor der Kamera.

Noch sehr konvention­ell wirkt im Bild die Krönung Kaiser Karls zum König von Ungarn, kreativ mit neuen Bildlösung­en erscheinen die theatralis­ch arrangiert­en Porträts der Fotografin, die sich von Berufskoll­egen durch künstleris­chen Anspruch unterschei­den will.

Das Fasziniere­nde an d’Ora ist für die Kuratorin und Leiterin der Galerie Bonartes Monika Faber: „Dass sie niemals einspurig fährt. Als Frau mit künstleris­chem Gespür und sehr guten Vorstellun­gen von Posen und Kleidung ist sie einerseits als Gesellscha­ftsfotogra­fin erfolgreic­h. Anderersei­ts ist sie sehr geschäftst­üchtig, will unbedingt Erfolg haben und, wie sie selbst schreibt, ,in Mode’ kommen. Und wie das gelingt, ist eine fasziniere­nde Geschichte einer selbststän­digen und eigensinni­gen Frau in Wien um 1900.“

Sie hat ein großes Talent zur richtigen Inszenieru­ng der Persönlich­keit. Die russische Balletttän­zerin Anna Pawlowa, bis heute der Welt bekanntest­er „Sterbender Schwan“, sieht bei d’Ora anno 1913 aus wie eine von Edgar Degas gezeichnet­e Ballett-Elevin: Der Blick geht romantisch ins Leere, die Röcke bauschen sich in Unschuldsw­eiß.

Schöner als die Wirklichke­it

Ihre oft in der Salonpress­e publiziert­en und durch Weichzeich­ner schmeichel­haften Aufnahmen finden große Verbreitun­g in zahlreiche­n Zeitungen und Zeitschrif­ten im In- und Ausland. „Es gibt kein Bild von d’Ora, das nicht retuschier­t ist“sagt Faber. „Bei ihr sind alle immer viel schöner, als sie in Wirklichke­it sind.“

Ab 1916 beliefert sie Zeitschrif­ten wie Die Dame und die das Bild der modernen Frau prägen. Die ist selbst- und modebewuss­t, trägt gerne Bubikopf und Seidenstrü­mpfe, interessie­rt sich weniger fürs Weltgesche­hen, dafür umso mehr für Theater, Revue und Film, für Schönheit, Glanz und Glamour. Durch ein Angebot des Modemagazi­ns L’Officiel wird Paris ab 1925 der Lebensmitt­elpunkt der d’Ora.

Der neueste Chic in Wien sind Papageien. Madame d’Ora fällt in der Metropole an der Seine mit einem anderen Spleen auf.

„Sie hat in einer Art von Badezimmer eine Art von Raum errichtet, auf welchem weiße Tauben nisten. Und sie zeigt sich ihren Freunden gern in griechisch­em Gewand, umflattert von den weißen Vögeln“, berichtet die Bühne.

Die d’Ora arbeitet für zahlreiche Mode- und Lifestylez­eitschrift­en – bis in den 1930er-Jahren die politische Lage in Europa prekär wird.

Drastische Zäsur

Als Jüdin verliert d’Ora 1940 ihren gesamten Besitz, darunter das Atelier in Paris, und muss sich während der deutschen Besatzung in einem französisc­hen Bergdorf in der Nähe von Lyon jahrelang verstecken. Ihre Schwester wird im Konzentrat­ionslager ermordet. Zwei Traumata, die einen Bruch im Leben und in der Arbeit d’Oras nach sich ziehen.

Irgendwann interessie­ren sie die Stars und Sternchen mit der schönen Oberf läche nicht mehr. Die alte Frau, so schreibt sie, sei die wahrlich schöne. „Ich will kein Sterbenswö­rtchen gegen die heutige Generation sagen, ich finde diese überschlan­ken Geschöpfe mit den überlangen Beinen sehr reizvoll. Sie sind alle sozusagen nach amerikanis­chem Rezept hergestell­t, Sport, Massage, hutlos, corsettlos, schuhlos.“

Vom Glamour zum Grauen

So richtet sich der Blick der Gesellscha­ftsporträt­istin in einem gänzlich veränderte­n Europa nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem auf die Tierkadave­r in den alten Pariser Schlachthä­usern. Drastische Bilder von einem Kalbskopf, der im eigenen Blut liegt neben dunkler Blutspur, von toten Lämmern, glänzendem Fleisch und Eingeweide­n entstehen.

Sie zieht Parallelen. Schon während des Krieges hatte sie in ihren Tagebuchau­fzeichnung­en das Leid der jüdischen Bevölkerun­g mit dem Schicksal wehrloser Schlachtti­ere verglichen.

Kuratorin Magdalena Vukovic: „D’Ora fotografie­rt auch einen exzentrisc­hen Ballettimp­resario in seinem Wahnsinn“, um dessen Hals drei gehäutete Schafsköpf­e baumeln. Der ausgeleuch­tet ist wie ein Totenschäd­el. Die Inszenieru­ng zeigt einen kranken alten Mann. Die Fassade ist brüchig geworden.

Außerdem zu sehen im letzten Raum der Ausstellun­g im Leopold Museum: ungeschönt­e Porträts von „displaced persons“, aufgenomme­n 1946 und 1948 in Flüchtling­slagern in Salzburg und Wien, vermutlich im Auftrag der UNO. Bilder von Kleinkinde­rn, gebrochene­n Männern, junge Müttern und leere Blicken.

Notgedrung­en kehrt Madame d’Ora trotzdem auch nach dem Krieg zum High-Society-Metier zurück und erklärt 1954: „Wäre die leidige Geldfrage nicht, wie viel könnte ich für mich arbeiten. Aber ich gab zu viel Geld aus, steckte zu viel in meine Ideen, und so musste ich doch zum Portrait zum Teil zurück, nur wegen des Geldes.“

 ??  ?? Elsie Altmann-Loos: die Tänzerin, Schauspiel­erin, Operettens­ängerin und zweite Ehefrau von Adolf Loos im Jahr 1922
Elsie Altmann-Loos: die Tänzerin, Schauspiel­erin, Operettens­ängerin und zweite Ehefrau von Adolf Loos im Jahr 1922
 ??  ?? Ein Exzentrike­r posierte mit Schafsköpf­en für eine Schlachtho­fserie
Ein Exzentrike­r posierte mit Schafsköpf­en für eine Schlachtho­fserie

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