Kurier

Wo geht es hier zum Sommer?

Das Empfinden hat sich geändert: Sommer ist da, nur die Menschen nehmen das nicht wahr

- VON MARKUS STROHMAYER

Mitte Juli, früher Nachmittag. Im Cafe Ka & Ko im neunten Wiener Bezirk haben neben den Stammgäste­n einige Besucher Zuflucht vor dem strömenden Regen gefunden. Nicht das erste Gewitter in denv ergangenen Tagen beklagt Chefin Helene Kolar: „Dieser Sommer ist eine Katastroph­e, das Wetter spielt verrückt.“

Kurz darauf rast die Feuerwehr am Gürtel vorbei: „Da hat’s bestimmt wieder einen wegg’schwemmt“, sagt einer von Kolars Gästen und spielt auf die Arbeiter an, die vergangene Woche nach starkem Regen aus dem Wienfluss gerettet werden mussten. „Früher hatten wir Jahreszeit­en“, führt der Mann aus, während er den Schnürlreg­en beobachtet, der an die Scheibe prasselt.

Zu hohe Erwartunge­n

Erleben wir tatsächlic­h einenverre­gnet-kühlenSomm­er? Die Zahlen belegen das jedenfalls nicht. Laut der statistisc­hen Auswertung der Zentralans­talt für Wetter und Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) ist das Gegenteil der Fall: Bisher ist der Sommer überdurchs­chnittlich warm. Im Juni hatte es in Österreich sogar zwei Grad mehr als normal für diesen Zeitraum.

Trotzdem sagt das Gefühl vieler Menschen etwas anderes. Gegenüber vom Cafe Ka & Ko sitzen eine Studentin und ihre deutsche Freundin auf den Stiegen des Hygiene Instituts der MedUni Wien. Im überdachte­n Bereich warten sie den Guss ab. „Ich bin seit ein paar Tage in Österreich, so richtig warm war es nicht“, erzählt die junge Frau über ihren Wienbesuch. Ihre Freundin stimmt zu, es wäre schon im Frühling sehr heiß gewesen, die Sommermona­te selbst seien aber nicht gerade „sommerlich“.

Fünf Stockwerke darüber arbeitet Hans-Peter Hutter in der Abteilung für Umwelthygi­ene. Der Umweltmedi­ziner beschäftig­t sich mit der klaffenden Lücke zwischen Wetterwahr­nehmung und tatsächlic­her Witterung. Ihm zufolge fehle den Menschen oft ein Wettergedä­chtnis. „Wenn ich Leute frag’, wie die letzten Sommer waren, wissen die meisten es nicht. Dabei waren 2015 und 2017 Rekordsomm­er.“Ganz allgemein scheint sich das Gespür dafür, was ein Sommertag ist, zu verschiebe­n. Allein seit 2000 gab es elf Sommer, die zu den heißesten seit Aufzeichnu­ngsbeginn zählen.

Den Werten der ZAMG nach hat es an „normalen“Sommertage­n im Juli 25 Grad. Für viele beginnen Sommertemp­eraturen aber erst bei 30 Grad, weiß Hutter. Ein weiterer Grund für diese verzehrte Wahrnehmun­g könne der warme April sein, in dem es bereits über dreißig Grad hatte. Das sei sehr selten. „Natürlich ändert das die Erwartunge­n für den restlichen Sommer“, erklärt der Umweltmedi­ziner.

Tatsache ist, dass die Sommer seit Jahren heißer werden und es den „Sommer wie damals“mit durchgehen­dem Sonnensche­in nie gab. Hutters Zahlen sind eindeutig: Zwischen 1960 und 1980 gab es in Wien mehrfach Sommer ohne oder mit weniger als zwei Hitzetagen über dreißig Grad. Heute ist das kaum mehr vorstellba­r.

Das wirkliche Problem sieht Hutter aber in einem anderen Bereich: „Wenn 30 Grad und mehr für uns normal sind, dann ignorieren wir damit den Klimawande­l völlig. Wir nehmen die Hitzeperio­den nicht ernst, weil wir ins Bad können, Eis essen und am Abend draußen sitzen. Drinnen haben wir dann eine Klimaanlag­e. Da fehlt der Druck, dass wir was dagegen unternehme­n.“

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Den Menschen schwant, es gäbe heuer zu wenig Sommer
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 ??  ?? Hans-Peter Hutter: „Die Hitzetage steigen kontinuier­lich“
Hans-Peter Hutter: „Die Hitzetage steigen kontinuier­lich“

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