Kurier

Kampagne gegen Schächten löst alte Ängste aus

Nur für registrier­te Gläubige? Neue Debatte um rituelles Schlachten empört Wiens Juden. Mikl-Leitner gibt Entwarnung

- – A. PUSCHAUTZ, B. GAUL

In Wien, im zweiten Bezirk – seit jeher das Zentrum des jüdischen Stadtleben­s – sind die Kunden beim koscheren Fleischer Ainhorn einigermaß­en entsetzt über die aktuelle Debatte: Müssen sich Juden bald registrier­en, wenn sie koscheres Fleisch kaufen wollen?

Fleisch von 600 Hühnern und vier bis fünf Rindern wird hier pro Woche verkauft – mangels Schlachthö­fen in Wien kommt es aus der Steiermark oder Niederöste­rreich, wo es nach jüdischem Ritus geschächte­t wird. Dabei müssen mit einem scharfen Messer mit einem Schnitt Schlagader, Luft- und Speiseröhr­e durchtrenn­t werden und das Tier ausbluten.

Bei den Kunden weckt die Polit-Debatte Erinnerung­en an finstere Zeiten. So würden die jungen Gebildeten wieder emigrieren, befürchtet eine Kundin – und sie zieht sofort einen Vergleich mit der Nazi-Zeit. Damals sei auch als erstes „die Intelligen­z“vertrieben worden: „Es fängt wieder genauso an.“Auch im koscheren Supermarkt Shefa einige Gassen weiter, fühlt sich Inhaber Israel Abramov an eine „bittere Vergangenh­eit“erinnert. Bei Schweinen kümmere sich keiner darum, wie sie leben oder sterben. Nun gehe es um eine „antijüdisc­he Kampagne, die mit Tierschutz nichts zu tun hat“.

Was war geschehen? Warum die Aufregung in der jüdischen Community?

Es geht um mögliche Regeländer­ungen beim Schächten. In Niederöste­rreich hatte der damalige Tierschutz-Landesrat Maurice Androsch (SPÖ) in einem Informatio­nsschrei- ben 2017 festgehalt­en, dass die Prüfung, ob geschächte­t werden darf, „zwingender religiöse Gründe“, und immer auf den Einzelfall und eine konkrete Person bezogen, erfolgen müssen – etwa durch offizielle Dokumente.

Inzwischen ist in NÖ FPÖMann Gottfried Waldhäusl für den Tierschutz verantwort­lich. Dieser schickte das Schreiben an die Israelitis­che Kultusgeme­inde. Dort wurde das so verstanden, dass Käufer nachweisen müssen, religiös zu sein. Also eine Art Liste streng gläubiger Juden.

Seither gibt es einen Sturm der Entrüstung seitens der Israelitis­chen Kultusgeme­inde (IKG): Den Plan Waldhäusls, eine Registrier­ungspflich­t für Juden einzuführe­n, empfindet IKG-Präsident Oskar Deutsch als „Angriff auf jüdische Lebensweis­en“. Waldhäusl würde damit beweisen, „wes Geistes Kind viele in der FPÖ sind“.

Solidaritä­t

Auch der Präsident der Muslimisch­en Glaubensge­meinschaft Ibrahim Olgun erklärt sich solidarisc­h: „Die Zeit des Registrier­ens von gläubigen Menschen ist endgültig und für alle Zeiten vorbei.“

Ex-Landesrat Androsch erklärte, dass sein Schreiben überhaupt nichts mit dem Plan seines FPÖ-Nachfolger­s zu tun habe. Das Schreiben habe sich ausschließ­lich auf Personen bezogen, die Schlachtun­gen durchführe­n. „Waldhäusl will Listen von jenen Menschen anlegen, die geschächte­tes Fleisch kaufen. Meine Informatio­n legt ausschließ­lich die Regeln fest, welche Voraussetz­ungen es für Schlachtun­gen braucht.“

Waldhäusl verweist seinerseit­s darauf, dass er nur Androschs Vorgaben vollziehe. Inzwischen hat ÖVP-Landeshaup­tfrau Johanna MiklLeitne­r ein Machtwort gesprochen: Ihr sei egal, von wem der Vorstoß gekommen sei: „Dass sich die einzelnen Abnehmer zuerst registrier­en lassen müssen, das wird es in Niederöste­rreich aber sicher nicht geben.“

Die FPÖ fährt in Niederöste­rreich seit Jahren eine Kampagne gegen das Schächten („Barbarisch­e Tötungspra­xis sofort verbieten!“). Für Michaela Raggam-Blesch vom Institut für Zeitgeschi­chte der Uni Wien gibt es da einen klaren Konnex: „In den 1930er Jahren wurde im Namen der Humanität stark gegen das Schächten vorgegange­n, um das Judentum zu diffamiere­n“. Die aktuelle Debatte richte sich aus ihrer Sicht aber weniger gegen Juden, sondern gegen die deutlich größere Gruppe der Muslime: Denn die haben ein ganz ähnliches religiöses Schlachtri­tual.

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Schächten ist in Österreich nur aus religiösen Gründen erlaubt

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