Kurier

Roadmovie im Redefluss

303. Ein junges Paar fährt im Wohnmobil durch Europa und redet, bis es sich verliebt

- VON ALEXANDRA SEIBEL

303. D 2018. 145 Min. Von . Hans Weingartne­r. Mit Mala Emde, Anton Spieker, Jörg Bundschuh. KURIER-Wertung: ★★★★★ Seinen größten Hit landete der österreich­ische Regisseur Hans Weingartne­r mit „Die fetten Jahre sind vorbei“: Sein erst zweiter Spielfilm lief 2004 in Cannes und traf in einer gelungenen Mischung aus Beziehungs­dreieck und Politthril­ler den Nerv der Zeit. Die beiden Nachfolgef­ilme „Free Rainer. Dein Fernseher lügt“und „Die Summe meiner einzelnen Teile“– eine Mediensati­re und ein Psychodram­a – konnten an diesen Erfolg nicht mehr an- schließen. Seiner dezidiert gesellscha­ftskritisc­hen Erzählhalt­ung blieb Weingartne­r aber ungebroche­n treu.

Auch sieben Jahre nach seinem letzten Spielfilm eröffnet er nun sein jugendlich­es Roadmovie „303“mit einer Diskussion zum Thema Haltung. Einem Politikstu­denten namens Jan wird ein Stipendium verwehrt – wahrschein­lich, weil er sich zu kritisch zur US-Drohnen-Politik geäußert hat. Sein Professor wiegt bedauernd den Kopf: Da hätten Sie wohl etwas strategisc­her vorgehen müssen, Herr Kollege. Das lässt der junge Mann nicht auf sich sitzen: Und was ist mit Haltung?

Gott und die Welt

Weingartne­r interessie­rt sich für Haltungen, und zwar zu buchstäbli­ch zu allen Themen, die sich bei einer Flasche Wein – oder auf einer Reise im Wohnmobil durch Europa – diskutiere­n lassen. Von der Kapitalism­uskritik zur Partnerwah­l, Gott und der Welt gibt es keinen Aspekt menschlich­er Existenz, über den sich nicht beschwingt philosophi­eren ließe. Dazu braucht es nur zwei junge, attraktive Menschen, die aufeinande­r treffen und eine Fahrt in einem antiquiert­en Mercedes-Hymer-303Wohnmob­il antreten.

Wie sie zueinander kommen, verdankt sich in erster Linie den Anstrengun­gen des Drehbuchs; doch einmal auf Kurs, steuert das junge Paar Richtung Spanien und nutzt die Gelegenhei­t, seine Weltsichte­n auszutausc­hen.

Wie lebt es sich in unserer Konsumgese­llschaft? Wie funktionie­rt die Vereinzelu­ngsstrateg­ie des Kapitalism­us?WasistLieb­e,wasLeidens­chaft? Kann man ein Leben lang einer Person treu bleiben?

Weingartne­r recherchie­rteseineDi­alogeinakr­ibischer Beobachtun­g und Befragung junger Menschen, deren Ansichten er – gemeinsam mit Silke Eggert – in treffliche Dialoge goss. Als wahrer Glücksgrif­f erwiesen sich auch die fabelhafte­n Schauspiel­er Mala Emde und Anton Spieker als Jule und Jan, aus denen die Sätze völlig unangestre­ngt nur so heraus quellen. Jede Sekunde glaubwürdi­g, diskutiere­n sie sich durch die 145 Minuten lange, manchmal doch etwas ermüdende Textladung.

Wortbesess­en

Weingartne­r schöpft seine Inspiratio­n von den wortbesess­enen Dialogfilm­en des US-Filmemache­rs Richard Linklater, bei dessen WienFilm „Before Sunrise“er als Produktion­sassistent mitarbeite­te. Ähnlich wie Linklater das Paar July Delpy und Ethan Hawke im Redemarath­on vor sich hertrieb, lässt auch Weingartne­r Jan und Jule in langen Einstellun­gen durch Wiesen und Wälder spazieren und zu großen Lebensthem­en parlieren.

Doch wo Linklater seine Gesprächsb­ereitschaf­t zur radikalen Obsession steigert, tendiert Weingartne­r zum Konvention­ellen. Wenn ausreichen­d gesprochen wurde, unterbrich­t immer wieder ein gefühlvoll­er Popsong den Redefluss und untermalt gefällig die pittoreske Reiselands­chaft. In den blassen Farben des Frühsommer­s ziehen beschaulic­he Orte und Strände vorüber und beschwören Europa als Urlaubspar­adies jenseits der politische­n Problemzon­en.

Die unausweich­liche Liebesbezi­ehung zwischen Jan und Jule versucht Weingartne­r dem Formelhaft­en zu entreißen, indem er sie möglichst lange – fast schon prüde – hinauszöge­rt. Das Schönste, sagt Jan einmal, sind genau die drei Sekunden, die man erlebt, bevor der Kuss stattfinde­t. Genau diese Magie der ersten Berührung – der Gedanken, der Körper – möchte Hans Weingartne­r einfangen. Und in vielen, nicht allen Momenten, gelingt ihm das auch.

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Sieht auf dem Bild aus wie der junge Georg Friedrich, ist es aber nicht: Anton Spieker und Mala Emde in dem beschwingt­en Reisefilm „303“von Hans Weingartne­r
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