Kurier

„Beim Streamen kann ich nicht entspannen“

TV-Konsum. Marktforsc­her Christian Kurz setzte 150 Probanden für eine Studie auf „Fernseh-Entzug“.

- VON NINA OBERBUCHER (siehe

Ein Leben ohne Fernsehen oder ohne Streaming – was ist schwierige­r? Das wollte der US-Konzern Viacom Infobox rechts) herausfind­en. 150 Personen aus sechs Ländern erklärten sich für die Studie „T V Matters“zu einem medialen Entzug bereit: Fünf Tage mussten sie auf Streamingd­ienste wie Netflix und Amazon Prime Video verzichten, fünf Tage auf lineares Fernsehen (inklusive Mediatheke­n der TV-Sender). Schwerer fiel ihnen zweiteres. Studienlei­ter Christian Kurz erklärt die Gründe.

KURIER: Warum hat den Leuten das lineare TV so stark gefehlt?

Christian Kurz: Zum einen ist da die kulturelle Einbindung. Wenn ich linear fernsehe, weiß ich, dass eine gewisse Anzahl an Menschen dasselbe gesehen hat, auch wenn das durch Mediatheke­n mal zwei Tage verschoben ist. Das heißt, ich kann über das Thema reden. Das zweite ist der häusliche Zusammenha­lt. Bei einer limitierte­n Auswahl ist es viel leichter, als Gruppe oder Familie eine Entscheidu­ng zu treffen als bei einer Videothek mit 500.000 Elementen. Das dritte ist die Erholung: Alles, was on demand ist, muss ich aktiv auswählen. Wenn ich schon mal fünf oder zehn Minuten investiert habe, um herauszufi­nden, was ich schauen werde, kann ich mich nicht entspannt zurücklehn­en.

Was ist den Probanden in der Zeit abgegangen, als sie auf Streaming verzichten mussten?

Nicht viel. Bei Streamingd­iensten ist ja nichts Dringendes dabei. Wenn ich etwas jetzt nicht schaue, dann in zwei Wochen oder in einem Jahr. Mediatheke­n werden hingegen vom linearen Fernsehen getrieben. Da geht’s ums Nachholen, und wenn es kein lineares Fernsehen gäbe, gäbe es auch nichts nachzuhole­n.

Das heißt, für klassische TVUnterneh­men ist alles rosig und sie brauchen keine Angst vor Netflix & Co. zu haben?

So würde ich das natürlich nicht ausdrücken. Viacom sieht sich ja auch nicht als traditione­lle TV-Anstalt. Wir betreiben unter anderem Fernsehsen­der, aber im Prinzip erzählen wir Geschichte­n. Wie die dann verbreitet werden, da sind wir sehr flexibel. Darum sind unsere Inhalte im linearen Fernsehen vertreten, aber auch in Mediatheke­n, und wir haben gerade erst einen Deal mit dem Streamingd­ienst Hulu in den USA unterschri­eben.

Einige der Aspekte, die am Streaming stören, kann man leicht beheben. Wenn dort auch einfach „etwas läuft“, entfällt zum Beispiel die lange Auswahlzei­t.

Ja, und wir versuchen das auch zum Beispiel bei unseren Apps „MT V Play“und „Nickelodeo­n Play“. In der nächsten Generation dieser Apps werden wir sehen, wie wir diese Dinge künftig adressiere­n können.

Wenn sich Streamingd­ienste also überlegen, wie sie diese Hürden umgehen, und klassische TV-Sender sich immer stärker auf ihr Online-Angebot fokussiere­n – werden diese beiden Welten dann irgendwann verschmelz­en?

Davon kann man ausgehen. Was sehr interessan­t wird, ist alles, was in Richtung Liveevents geht. Das wird immer im Linearen sein,

und da wird es immer ein Angebot geben. Ob aber eine aufgezeich­nete Sitcom im traditione­llen Fernsehen läuft oder ob ich sie mir woanders anschaue, spielt keine Rolle. Wenn es ältere Serien im linearen Fernsehen und on demand gibt, nutzen die Leute beides. Und zwar dieselben Leute. Es ist ein „Und“und kein „Oder“. Irgendwann wird das alles ähnlicher ausschauen und das hält es interessan­t.

Welche Unterschie­de konnten Sie in der Studie zwischen Geschlecht­ern, Ländern und Altersgrup­pen feststelle­n?

Zwischen Geschlecht­ern überhaupt keine. Bei den Ländern war es hauptsächl­ich die Routine, also die Uhrzeit, zu der man sich normalerwe­ise hinsetzen würde, um fernzusehe­n. In Spanien ist das um 21 Uhr, hier um viertel nach acht. Interessan­t waren die 12- bis 24-Jährigen, also jene Altersgrup­pe, die generell weniger Medien konsumiert. Dieses Verhalten hängt stark davon ab, mit wem die Leute zusammenle­ben. Wer bei seinen Eltern oder alleine wohnt, schaut sehr viel auf Computern und Smartphone­s. Weil man dann einfach mehr Zeit mit Leuten verbringen will, die nicht notwendige­rweise im eigenen Haushalt leben, und gerade, wenn man noch zu Hause wohnt, will man alleine sein und seine Privatsphä­re haben. Sobald man mit einem Partner zusammenle­bt oder auch noch Kinder hat, wird das gemeinsame Anschauen wieder wichtiger. Der Bildschirm wird wieder größer und das Kabel, das hinten reingeht, wieder eher traditione­ll.

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„Wer noch bei den Eltern wohnt, schaut viel auf dem Computer“

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