Kurier

Euro weg – „das löst keine Probleme“

Eurozone. Die Lage ist gut in den Eurostaate­n, sagt Experte Thygesen – höchste Zeit, jetzt Reserven anzulegen

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Als Chef des Europäisch­en Fiskalrate­s schaut Niels Thygesen der EU-Kommission auf die Finger. Der dänische Wirtschaft­sprofessor überprüft zusammen mit seinem vierköpfig­en unabhängig­en Expertengr­emium, ob die Kommission die Umsetzung des Stabilität­s- und Wachstumsp­aktes in den EU-Staaten ausreichen­d überwacht.

KURIER: Sie mahnen, das aktuelle Wachstum in der Eurozone besser zu nutzen. Nutzen wofür? Was erwartet die 19 Staaten der Eurozone? Niels Thygesen: Wir erwarten keinen dramatisch­en Abschwung wie vor zehn Jahren. Aber es ist sehr wahrschein­lich, dass die Konjunktur abkühlen wird. Es wird Unsicherhe­iten geben, wir brauchen nur an den Handel zu denken. Wir hatten zuletzt ein robustes Wachstum von mehr als zwei Prozent in der Eurozone. In dieser Zeit sollte man Finanzpols­ter und Reserven aufbauen und sich den langfristi­gen Trend bei den öffentlich­en Ausgaben ansehen.

Stimmen Sie mit der Kritik des EU-Rechnungsh­ofes überein, wonach die EU-Kommission zu lax vorgeht bei der Kontrolle des Stabilität­spaktes?

Die Flexibilit­ät gegenüber den hoch verschulde­ten Eurostaate­n war notwendig, als es noch kaum eine Erholung des Wirtschaft­swachstums gab. Aber seit 2017 ist das nicht mehr der Fall. Und nicht nur die Kommission, auch die Regierunge­n wollen jeden Vorteil nützen, der sich ihnen bietet. Deswegen haben wir diese fiskalpoli­tischen Regeln, weil Regierunge­n Geld ausgeben wollen. Und manchmal geben sie mehr aus, als sie haben.

Was würde das für das hoch verschulde­te Italien bedeuten? Die Regierung in Rom hat doch gerade angedacht, die Staatsausg­aben zu erhöhen?

Es gab auch beruhigend­e Signale vom Finanzmini­ster, der versichert hat, dass Italien sich nicht weiter verschulde­n wird. Bisher hat Italien die Drei-Prozent-Neuverschu­ldungsrege­l beachtet, aber wegen seines hohen Schuldenst­andes ist es sehr verwundbar angesichts der Marktentwi­cklungen.

Ist Italien eine Gefahr für die gesamte Eurozone?

Italien hat sich verpflicht­et, den Maastricht-Vertrag einzuhalte­n – einen Höchstschu­ldenstand von 60 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Derzeit steht man aber bei 132 Prozent. Gefährlich wäredieIde­e,dassdasSta­atsdefizit­wiederstei­genkönnte. Aber in Italien handelt es sich eher um ein StrukturPr­oblem, um ein seit Langem zu niedriges Wachstum. Vielleicht kann eine neue Regierung neue Ideen durchbring­en, in einem System, in dem Reformen bisher nichtgelan­gen.

Was bedeutet es auf europäisch­er Ebene, sich auf weniger gute Zeiten vorzuberei­ten?

Wir sehen die Notwendigk­eit für mehr gemeinsame Initiative­n zur Stabilisie­rung, wie etwa für die Bankenunio­n und die Einlagensi­cherung. Man sollte aus der vergangene­n Krise lernen, dass größere Ereignisse nicht alleine national oder von der Europäisch­en Zentralban­k gelöst werden können. Die europäisch­e Fiskalpoli­tik muss mehr auf gemeinsame­m Niveau agieren. 2008 gab es nichts, kein Sicherheit­snetz, keinen Stabilisie­rungsfakto­r. Das müssen wir alles für das nächste Mal parat haben. Das wird das Element der Risiko-Teilung sein, und es sollte zusammenhä­ngen mit transparen­teren Regeln.

Momentan geht es bei Reformen der Eurozone doch kaum voran.

Es gibt eine Blockade zwischen jenen Staaten, die darauf beharren, dass mehr Risiko geteilt werden muss, und jenen, die Risiko vermeiden wollen. Dabei könnte das in parallelen Schritten passieren und auf Basis der existieren­den, guten Regeln des Stabilität­s- und Wachstumsp­aktes und gewisser Stabilität­smechanism­en.

Warum war es früher möglich, eine Währungsun­ion und den Euro zu gründen, während heute schon die Bemühungen für eine Bankenunio­n feststecke­n?

Als die Währungsun­ion gegründet wurde, hat alles noch viel mehr auf nationaler Ebene stattgefun­den. Man hat unterschät­zt, welchen Impuls der Euro der finanziell­en Integratio­n geben würde – und auch der finanziell­en Instabilit­ät. Das wurde während der Finanzkris­e offensicht­lich. Wir brauchen etwas, das den Ländern hilft, bevor die Staaten vom internatio­nalen Finanzmark­t abgeschnit­ten werden. Das würde den Aufprall mildern und mehr Vertrauen ins System schaffen. Der Europäisch­e Stabilität­smechanism­us ESM kommt ja erst zum Einsatz, wenn die Staaten keinen Zugang mehr haben.

Österreich gehört zu den finanzpoli­tisch vorsichtig­en Ländern. Wie wären sie dazu zu bewegen, mehr Risikoteil­ung einzugehen?

Man hat gute nationale Regeln und könnte diese als Basis für gemeinscha­ftliche Einrichtun­gen nützen, etwa für die Bankenunio­n. Es ist richtig, dass zuerst das Risiko reduziert werden muss, bevor man gemeinscha­ftliche Initiative­n setzt. Aber einmal den Schritt gesetzt, sollte man die Gemeinscha­ftsprojekt­e weiterentw­ickeln.

Kann die Eurozone ohne diese großen Reformen überleben?

Was wir nach der Krise gesehen haben, speziell mit dem Blick auf Italien: Sich den Euro wegzuwünsc­hen, löst keine Probleme. Der Euro wird überleben, aber er müsste widerstand­sfähiger werden.

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Im Roms Bahnhof erinnert eine „Schuldenuh­r“daran, wie tief der Staat in der Kreide steht – das Bild ist von Mitte Februar, mittlerwei­le wären es mehr als 2,4 Billionen Euro

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