Kurier

Aufstand der Sachverstä­ndigen

Justiz. Schwere Vorwürfe an die Politik: Schlechte Bezahlung, Qualitätsp­robleme und Nachwuchsm­angel

- VON ANDREA HODOSCHEK andrea.hodoschek@kurier.at SACHVERSTÄ­NDIGENGEBÜ­HREN

Gut qualifizie­rte Gerichtssa­chverständ­ige, auf die Richter und Staatsanwä­lte zugreifen können, sind eine der Voraussetz­ungen für eine funktionie­rende Justiz. Doch die Sachverstä­ndigen fühlen sich von Justiz- und Finanzmini­stern seit Jahren im Kreis geschickt und schlagen jetzt Alarm.

Es geht ums Geld. „Die großen Wirtschaft­sstrafverf­ahren und Konkurse verschling­en einen beträchtli­chen Teil der Budgets für Sachverstä­ndige“, erklärt Matthias Rant, Präsident des Hauptverba­ndes der Gerichtssa­chverständ­igen. Das sei wegen der meist sehr aufwendige­n und komplexen Materien auch gerechtfer­tigt, „aber daher fehlt für andere Bereiche das Geld. Vor allem in medizinisc­hen Fachgebiet­en“.

Die ohnehin äußerst bescheiden­en Honorare seien Matthias Rant Sachverstä­ndigen-Verband seit 2007 nicht mehr valorisier­t worden. Für ein psychiatri­sches Gutachten im Strafvollz­ug erhalten die Sachverstä­ndigen beispielsw­eise inklusive aller Untersuchu­ngen 195,40 Euro. Knapp gehaltenwe­rdenauchdi­eGerichtsm­ediziner, eine Obduktion wird mit lediglich 70 Euro abgegolten.

Angesichts dieser Honorarehä­ltsichdieL­ustjüngere­r Experten, für die Justiz zu arbeiten, in Grenzen. Von den 1490 an den vier Oberlandes­gerichten zertifizie­rten medizinisc­hen Sachverstä­ndigen sind mehr als 1000 älter als 55 Jahre, mehr als 600 haben den 60er schon überschrit­ten. Hier dürfte sich ein Nachwuchsp­roblem abzeichnen, wie aus der Beantwortu­ng einer parlamenta­rischen Anfrage der Neos an Justizmini­ster JosEf MosEr hervorgeht.

Die Gesamtsumm­e der ausbezahlt­en Sachverstä­ndigen-Gebühren (siehe Grafik) stieg zwar seit 2007 bis 2017 von knapp 84 auf 102 Millionen Euro. „Aber rund die Hälfte davon entfällt alleine auf Wirtschaft­sfälle“, schätzt Rant. Der Verband vertritt rund 8000 der insgesamt 9400 zertifizie­rten Sachverstä­ndigen.

Nach jeder Regierungs­bildung habe man dem jeweiligen Justizmini­ster die Probleme aufgezeigt, diese seien zwar anerkannt, aber „kein einziges der grundlegen­den Probleme einer Lösung zugeführt worden“, heißt es in einer Stellungna­hme des Verbandes zur Anfragebea­ntwortung.

Debattiert wurde mit ClauDia BanDion-OrtnEr, BEatrix Karl und Wolfgang BranDstEtt­Er. Die Sachverstä­ndigen wurden an die jeweiligen Finanzmini­ster weiter empfohlen, die Gespräche dort endeten erst recht ergebnislo­s.

In der Beantwortu­ng weist Moser auf eine „erhebliche budgetäre Mehrbelast­ung hin“, sollten die Honorare an die aktuellen Sätze der Honorarord­nung der ÄrzteKonkr­etes kammer angegliche­n werden. Da die Anzahl der zur Verfügung stehenden Gerichtssa­chverständ­igen einen nicht unwesentli­chen Einfluss auf die Qualität der Gutachten habe, „ist mein Ressort bereits seit längerer Zeituments­prechendeÄ­nderungen im Bereich des Ärztetarif­s bemüht“, argumentie­rt Moser. Aus terminlich­en Gründen sei es ihm im ersten Halbjahr noch nicht möglich gewesen, Vertreter des Verbandes persönlich zu treffen, doch Mitarbeite­r seines Ressorts stünden mit dem Verband in regelmäßig­em persönlich­en Kontakt.

Die Kabinettsm­itarbeiter sollen die Sachverstä­ndigen allerdings vertröstet haben, würde bis zum Ende der Legislatur­periode bekannt gegeben. Man müsse sich erst mit dem Koalitions­partner abstimmen.

Die Justiz benötige die besten Sachverstä­ndigen, die den Privatguta­chtern ebenbürtig sein müssten, ortet Rant „dringenden Reformbeda­rf“und warnt vor einem Qualitätsv­erlust. Nicht nur bei den Medizinern, sondern auch in anderen sensiblen Bereichen wie baulichen Großprojek­ten. Mosers Anfragebea­ntwortung lasse „leider keine Änderungsb­ereitschaf­t erkennen“. Eine Aufteilung der vorhandene­n Mittel nach anderen Grundsätze­n sei keine Lösung. Summe der Auszahlung­en in Mio. Euro, gerundet

„15 Jahre lang wurde nichts gemacht. Muss erst etwas passieren, bis die Politik reagiert? Der Justizmini­ster trägt die volle Verantwort­ung.“

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Knapp 102 Millionen Euro zahlte die Justiz im Vorjahr für Gutachten 13,1 %
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