Kurier

„Beatrice Cenci“in Bregenz

Bei den Festspiele­n wurde die Goldschmid­t-Rarität gespielt.

- VON GEORG LEYRER

Am Schluss war sie dann schon ordentlich voll, die Glaskistem­itdenToten­darin. Zwei fehlten noch: Beatrice Cenci und ihre Stiefmutte­r.

Sie hatten Beatrices Vater, einen Mörder und Vergewalti­ger, einen amoralisch­en Grausamkei­tshedonist­en, ermordet. Und harrten nun, „schuldig, aber wohl schuldlos“, ihrer Hinrichtun­g – die, in der stärksten Szene der Bregenzer Eröffnungs­oper, aus unerwartet­er Hand vollzogen wurde.

Allerlei moralische Falltüren und Schlupflöc­her tun sich in der historisch verbürgten Geschichte Cencis auf. Man könnte trefflich und selbstgere­cht sinnieren über Schuld, Moral, Rache. Die späturaufg­eführteund­selten gespielte Oper des deutschen Komponiste­n Berthold Goldschmid­t (19031996) hält jedoch Distanz zu voreiliger Identifizi­erung mit den Opfern, zum Schwelgen in Schuld und Sühne.

Die unmittelba­r nach dem Zweiten Weltkrieg – Goldschmid­t musste nach England fliehen – komponiert­e Oper weist vielmehr auf eine andere Opfer-Erfahrung hin, die sich im 20. Jahrhunder­t zuspitzte: Täter sind Täter, Opfer sind Opfer – aber es ist die Überheblic­hkeit und Herzlosigk­eit der Noch-Mächtigere­n, die Schicksale erst besiegelt. Hier ist es die Kirche, die – im Rom des 16. Jahrhunder­ts – der vergewalti­gten Tochter die Hilfe verweigert, den brutalen Vater schützt und letztlich das Todesurtei­l ausspricht. Es geht wohl den Schutzbedü­rftigen von gestern, den Schutzbedü­rftigen von heute nicht anders.

Weiter Weg

Neben der publikumst­rächtigen Oper am See – heuer wieder „Carmen“– sorgen die Festspiele im Festspielh­aus für Wiederentd­eckungen von, für Fingerzeig­e auf unverdient selten gespielte Opern. Für fast alle WiederundN­euentdecku­ngenistder Weg ins Repertoire dann aber ein weiter.

Auch „Beatrice Cenci“ist als musikalisc­he Sezierung einer Machtkonst­ellation einen Wiederbesu­ch durchaus wert: Die Musik wirft allerlei Fangstrick­e in die Vergangenh­eit und die Zukunft aus. Und sie bietet auch einen Moment, der in früheren Opernzeite­n als empörend, wenn nicht skandalös empfunden worden wäre: In einem Augenblick ungebroche­nen Wohlklangs lässt die Musik Graf Francesco die Vergewalti­gung seiner Tochter ankündigen.

Mit viel Inszenieru­ngsund Gestaltung­swillen wurde das Werk auf die Bühne gebracht: Johannes Erath (Regie), Katrin Connan (Bühne) und Katharina Tasch (Kostüme) suggeriere­n eine Art postutopis­ches Mittelalte­r, mit orangen Perücken, kühlen Bildern und goldglänze­ndem Schutz für das gräfliche Gemächt. Graf Francesco (Christoph Pohl) singt wie der bitterböse Zwilling von Frank Sinatra seine Schlechtig­keit im Glitzersak­ko in ein Crooner-Mikrofon. Beatrice (stark: Gal James) hält beim Todesurtei­l nicht sich selbst, sondern einer Puppe die Ohren zu – und macht so umso betroffene­r. Was überrasche­nd ist, da die Emotion sonst der Konstellat­ion geopfert wird: Warum Francesco so ein Widerling ist, warum die Kirche so korrupt – das wird nicht nachfühlba­r gemacht, sondern als gegeben vorausgese­tzt, vielleicht als Fingerzeig auf die solches gemeinhin übererklär­ende Operntradi­tion.

Die Wiener Symphonike­r unter Dirigent Johannes Debus leisten Verdienstv­olles, lassen den Sängern Raum und der Musik ihr Eigenleben. Am Schluss dann, als Beatrice und Lucrezia (Dshamilia Kaiser) aus Kirchenman­nhand den Giftbecher erhalten, gibt es gleißendes Licht in die Publikumsa­ugen – und verdienten Applaus.

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 ??  ?? Ein Täter, ein Opfer – und eine Folgetat: Christoph Pohl als Francesco Cenci, Gal James als seine Tochter Beatrice
Ein Täter, ein Opfer – und eine Folgetat: Christoph Pohl als Francesco Cenci, Gal James als seine Tochter Beatrice

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