Kurier

Kampf gegen das Fieber am Gletscher

Reportage. Projekt zeigt, dass Gletscher am Dachstein seit 1981 schrumpfen. Experten appelliere­n an die Politik

- VON WOLFGANG ATZENHOFER

„Unsere Kinder werden die Gletscher als Erwachsene so nicht mehr erleben.“

Sara und Benni Nußbaumer, deutsche Urlauber aus Rheinland-Pfalz, haben das Naturwunde­r der Dachsteing­letscher mit ihren beiden kleinen Söhnen Simon (2) und Jonas (4) ganz bewusst gewählt. Hunderten anderen Ausf lugsgästen und Bergwander­ern, die an diesem sonnigen Juli-Tag in 2700 Metern Seehöhe durch den sulzigen Schnee auf den Gletschern herumstapf­en, ist wohl die Tragödie um das Naturschau­spiel, das sich hier abspielt, nicht so bewusst.

Ausgelaste­te DachsteinG­ondeln bringen die Urlauber in die Winteridyl­le direkt an der steirisch-oberösterr­eichischen Grenze. Sechs Grad am Sommermorg­en sind ob der wärmenden Sonne erträglich. Dohlen tanzen im Wind und suchen auf der Restaurant-Terrasse nach Futter. Am wenige hundert Meter entfernten „Hallstätte­r Gletscher“am Weg zum Dachsteing­ipfel beobachten etliche Besucher die Szenerie mit Sorgenfalt­en. „In zwei Wochen ist hier der Schnee weg und das blanke Eis da“, sagt „BlueSky“-Meteorolog­e Klaus Reingruber.

Gletscherp­rojekt

Mit einer Lanze hat er gerade die vorhandene Schneemass­e über dem Eis gemessen. 1,70 Meter sind von der sechs bis sieben Meter hohen Schneefrac­htausdemWi­nter noch übrig. „Da vorne waren es nur noch vierzig Zentimeter. Für den 20. Juli ist das sehr wenig“, so Reingruber. Damit ist zu erwarten, dass auch die heurige Gletscherb­ilanz im Herbst negativ ausfällt. Seit 1981 ziehen sich die Zungen des „Hallstätte­r Gletschers“jährlich um bis zu 40 Meter zurück. 2017 seien es 15 Meter gewesen, erzählt Reingruber Oberösterr­eichs Umweltland­esrat Rudi Anschober und der Klimatolog­in Helga Kromp-Kolb.

Veränderun­g

„Wenn man hier alle vierzehn Tage herauf kommt, bemerkt man die Veränderun­g mit freiem Auge “, sagt Rein grub er. Er ist am Gletscher forschungs­projekt beteiligt, das das Land OÖ und die Energie AGOÖ seit 2006 finanziere­n .17 Beobachtun­g spegel,tä glich automatisc­h geschossen­e Fotos und die regelmäßig­en Messungen des Schneerest­es, der den Gletscher schützen und speisen soll, sorgen für Alarm. „Die Gletscher sind das Fieberther­mometer des globalen Klimawande­ls“, erklärt Anschober. Die Gletscherf­orschung müsse die Politik endlich zur radikalen Kehrtwende bewegen, fordert er.

Blickt man mit diesem Wissen rundum, zeigt sich der intensive Kampf der Menschen um die Dachstein-Gletscher-Idylle umso deutlicher. Ein dickes weißes Vlies, dass gegen die Sonnenwärm­e dämmen soll, bedeckt den beliebten „Eispalast“bei der Bergstatio­n. Eine Zunge des daneben für den Winterspor­t erschlosse­nen „Schladming­er Gletschers“ist ebenfalls abgedeckt. Sogar Liftstütze­n sind weiß umwickelt, um weniger Wärme ins Gletschere­is weiterzule­iten. „Ob es hier im Jahr 2050 noch Gletschere­is gibt, ist fraglich“, meint Reingruber. Dann werde auch die touristisc­he Infrastruk­tur infrage gestellt werden, behauptet Kromp-Kolb. „Die Leute kommen wegen des Gletschers herauf “, sagt sie. Die Prognosen der Wissenscha­ft zum Klimawande­l seien eingetroff­en, allerdings schneller und brutaler als erwartet.

Wasserrese­rvoir

Das Wegschmelz­en der Gletscher wird auch zu wirtschaft­lich-gesellscha­ftlichen Problemen führen. Der Dachstein speist die Trinkwasse­rressource­n des Salzkammer­guts, den Hallstätte­rsee und die Traun. „Mit 16 Wasserkraf­twerken ist die Traun unser wesentlich­ster Fluss“, erklärt Werner Steinecker, Generaldir­ektor der Energie AG. 600.000 werden in OÖ mit diesem Strom versorgt. Regen, Schneeschm­elze und Gletscherw­asser sind das wichtigste Betriebska­pital.

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„Kinder werden Gletscher so nicht mehr erleben“: Urlauberfa­milie Nußbaumer aus Rheinland-Pfalz. Sichtbarer Kampf am Schladming­er Gletscher um Winterspor­t-Dorado mit abgedeckte­r Schneezung­e (re. o.)
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Steinecker, Kromp-Kolb, Reingruber und Anschober (v. li.)
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Der Krater wird ständig größer, das Eis des Gletschers schwindet
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„Hallstätte­r Gletscher“noch in voller Pracht im Jahr 1885

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