Kurier

„Die wahre Liebe lässt blühen“

City. Nächsten Freitag liest Johannes Krisch Hemingways Liebesbrie­fe. Im Diglas sprach er über seine eigene Liebe

- VON ANNA-MARIA BAUER (TEXT) UND FRANZ GRUBER (FOTOS)

Natürlich wusste Johannes Krisch, dass Ernest Hemingway ein umtriebige­r Mensch war. „Wie jeder Mann halt“, ergänzt er schmunzeln­d, im ersten Stock des Café Diglas im Schottenst­iftsitzend. Aber von dem jahrelange­n, leidenscha­ftlichen Briefwechs­el zwischen Hemingway und Marlene Dietrich wusste er bis vor Kurzem nichts.

Er weiß es nun, weil er am Freitag mit Sona MacDonald beim Schwimmend­en Salon – dem Lese-Festival von Angelika Hager alias Polly Adler – Briefe von Hemingway und Dietrich und auch von Hemingway und Martha Gellhorn (Kriegsrepo­rterin und seine dritte Ehefrau) lesen wird.

Anders als bei Martha Gellhorn ist die Liebe bei Ernest Hemingway und Marlene Dietrich aber nie körperlich geworden, trotz der jahrelange­n Anziehung. Sie hätten schlechtes Timing, eine „asynchrone“Leidenscha­ft, meinte Hemingway einmal.

Kann die wahre Liebe am falschen Zeitpunkt scheitern? „Ja“, glaubt Johannes Krisch. „Aber ich denke, es wird auch seinen Grund gehabt haben, warum sie nicht zusammenge­kommen sind. Vielleicht hätten sie gar nicht zueinander gepasst.“Gibt es denn die wahre Liebe? „Klar “, sagt er, und ergänzt lachend: „Meine.“Nachdenkli­cher fährt er fort: „Da haben sich zwei Seelen gefunden, auf der unendliche­n Zeitreise, endlich.“

Und was wahre Liebe ausmacht? „Sie fordert nicht, lässt den anderen blühen. Sonst ist die Liebe eine Blume, die ich pflücke, und dann ist sie kaputt. Man muss sie in der Erde lassen, damit sie für sich selbst sein kann. Alles andere ist Egoismus.“Aber natürlich sei das in einer Welt des wachsenden Egoismus immer schwierige­r, räumt er ein.

Schlitzohr

Der Theater- und Filmschaus­pieler (Revanche, 360, In the Fade) liest beim Schwimmend­en Salon übrigens nicht zum ersten Mal Liebes-Briefwechs­el. Vor vier Jahren hat er auf der schwimmend­en Bühne im Thermalbad Bad Vöslau mit Schauspiel­erin Maria Happel Episteln von Oskar Kokoschka und Alma Mahler vorgetrage­n.

Ob er selbst je Liebesbrie­fe geschriebe­n hat? Johannes Krisch lacht auf. „Neinnein, ich war kein Liebesbrie­fschreiber“, sagt er. „Ich war ein ...“– er sucht das passende Wort – „... ein Schlitzohr“. Er grinst. Nimmt einen Schluck vom Verlängert­en. Schwarz. Mit viel Zucker. Davon trinkt er am Tage viele. „Zu viele.“Er lehnt sich zurück. Er hätte gerne zum Kaffee geraucht, aber es ist ein verregnete­r Tag, der Schanigart­en ist geschlosse­n. Und das Lokal ist ein Nichtrauch­erlokal.

Vor eineinhalb Jahren hat der heute 30-jährige Gastronom Johann Diglas das Traditions­kaffee im Schottenst­ift übernommen, es sanft renoviert, ohne das Kaffeehaus­f lair zu nehmen, und mit einer Mischung aus Alt und Neu zukunftsfi­t gemacht. Bestellen können Gäste Apfelstrud­el ebenso wie Gurkenkalt­schale, Rindsgulas­ch oder Burger mit Pommes.

Etwas zu essen bestellt Johannes Krisch im Kaffeehaus nie. „Ich komm nur für den Kaffee hierher, und um stundenlan­g Zeitung zu lesen, die Menschen zu beobachten, den Tag zu beginnen.“

Das Kaffeehaus war auch das einzige, was er aus Wien so richtig vermisst hat, als er vor einigen Jahren mit seiner Frau nach Berlin zog. Mittlerwei­le lebt er 60 Kilometer außerhalb von Wien.

Das hektische Großstadtl­eben reizt ihn heute nicht mehr. „Wien ist gerade auf dem Weg, genauso oberflächl­ich und schnell zu werden, wie die anderen großen Hauptstädt­e. Das finde ich schade.“Unddareich­tesihm, wenn er hin und wieder in die Stadt kommt.

Lieber würde er nun seinen Töchtern die Natur zeigen und mit ihnen Eier aus dem Hühnerstal­l holen. „Ich versuche gerade, die Langsamkei­t wieder zu entdecken.“Als Kind hatte er ja seinen eigenen Rhythmus gehabt – und den auch leben dürfen. „Ich hab in der ersten Stunde in der Schule immer geschlafen. Und meine Lehrerin hat mich schlafen lassen, weil sie gemerkt hat, dass etwas anderes keinen Sinn machen würde.“

Aber in der heutigen Zeit sei es immer schwierige­r, sich diese Langsamkei­t zu nehmen. „Wir lassen es ja so oft nicht zu, weil wir gern im Hamsterrad laufen. Wie die Wahnsinnig­en.“

Er nimmt den letzten Schluck Kaffee, nickt. Jetzt würde er gerne aufstehen. Eine Zigarette rauchen.

 ??  ?? Johannes Krisch ist aufs Land gezogen. Am meisten vermisst er dort die Wiener Kaffeehäus­er
Johannes Krisch ist aufs Land gezogen. Am meisten vermisst er dort die Wiener Kaffeehäus­er
 ??  ?? Johann Diglas übernahm das Traditions­café vor eineinhalb Jahren
Johann Diglas übernahm das Traditions­café vor eineinhalb Jahren
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria