Kurier

Sinnliche Liebe und realer Tod

- TONI FABER dompfarrer@stephansdo­m.at

Mittlerwei­le gehöre auch ich zu den treuen Besuchern der Bregenzer Festspiele.

Die ersten Tage konnten bei herrlichen äußeren Bedingunge­n über die Bühne gehen. Nach der feierliche­n Eröffnung durch die recht launige Rede von Bundespräs­ident Van der Bellen stand jede Menge an Begegnunge­n auf dem Programm. Auf die hervorrage­nde und sehr aufrütteln­de Premiere der Oper „Beatrice Cenci“von Berthold Goldschmid­t am ersten Abend im Festspielh­aus, wo weltliche Macht, deren Missbrauch und die Korruption der Kirche im Mittelpunk­t stand, folgt nun auf der Seebühne dreißigmal Georges Bizets große Oper „Carmen“. Fantastisc­h besetzt und aufwendig inszeniert packt sie die über 7000 Zuseher und -hörerinnen mit allen Sinnen. Im Mittelpunk­t steht die einfache Tabakarbei­terin Carmen, die mit ihren Reizen mehr als einem Mann den Kopf verdreht. Wo die Liebe hinfällt, da kommen alle Facetten des Lebens zu tragen, da sind Eifersucht und Leidenscha­ft nicht weit, da kommt es zum Ringen und Kämpfen, das über die Gewalten der Natur weit hinausreic­ht.

Die Festspielb­ühne mit den zwei aus dem Bodensee herausrage­nden Händen der Tabakarbei­terin und dem überdimens­ionalen meterhohen Spielkarte­nbogen ist Hintergrun­d für artistisch­e Einlagen und die vielfach bekannten Melodien – meisterhaf­t interpreti­ert von den beeindruck­enden Solisten. Am Ende wird Carmen im Wasser vor der Bühne ertränkt. Nach der Aufführung im Vorjahr hatten mir kundige Freunde meine Sorge genommen, der überragend­en Hauptdarst­ellerin werde wirklich Gewalt angetan. Mithilfe eines geübten Tauchers und Sauerstoff­zufuhr kann das Liebesopfe­r minutenlan­g unter Wasser gehalten werden, bevor es sich zum grandiosen Schlussapp­laus unversehrt aus den Fluten des Bodensees erhebt.

Drama ohne Rettung

Seit Jahren sind die Inszenieru­ngen auf der Seebühne gewaltig. Deshalb war die Bedeutung der vielen, mit Blaulicht ausgestatt­eten Rettungsbo­ote im Hintergrun­d und am Ostufer des Sees in einigen Hundert Metern Entfernung nicht eindeutig. Am Morgen danach war es allerdings klar: Das Spiel am See war durch ein gleichzeit­iges Drama von der Realität eingeholt worden. Ein 28-jähriger Mann ist beim Baden ganz in der Nähe des Seeufers ertrunken. Die gemeinsame aufwendige Suche aller verfügbare­n Rettungskr­äfte und die Reanimatio­n blieben leider erfolglos.

Die Darstellun­g von Liebe und Tod, die unsere Herzen erfreute, möge die rund 200.000 Besucher der Seebühne in den nächsten Wochen ermutigen, mit Bedacht und Vorsicht dem Leben zu dienen.

Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan

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