Sinnliche Liebe und realer Tod
Mittlerweile gehöre auch ich zu den treuen Besuchern der Bregenzer Festspiele.
Die ersten Tage konnten bei herrlichen äußeren Bedingungen über die Bühne gehen. Nach der feierlichen Eröffnung durch die recht launige Rede von Bundespräsident Van der Bellen stand jede Menge an Begegnungen auf dem Programm. Auf die hervorragende und sehr aufrüttelnde Premiere der Oper „Beatrice Cenci“von Berthold Goldschmidt am ersten Abend im Festspielhaus, wo weltliche Macht, deren Missbrauch und die Korruption der Kirche im Mittelpunkt stand, folgt nun auf der Seebühne dreißigmal Georges Bizets große Oper „Carmen“. Fantastisch besetzt und aufwendig inszeniert packt sie die über 7000 Zuseher und -hörerinnen mit allen Sinnen. Im Mittelpunkt steht die einfache Tabakarbeiterin Carmen, die mit ihren Reizen mehr als einem Mann den Kopf verdreht. Wo die Liebe hinfällt, da kommen alle Facetten des Lebens zu tragen, da sind Eifersucht und Leidenschaft nicht weit, da kommt es zum Ringen und Kämpfen, das über die Gewalten der Natur weit hinausreicht.
Die Festspielbühne mit den zwei aus dem Bodensee herausragenden Händen der Tabakarbeiterin und dem überdimensionalen meterhohen Spielkartenbogen ist Hintergrund für artistische Einlagen und die vielfach bekannten Melodien – meisterhaft interpretiert von den beeindruckenden Solisten. Am Ende wird Carmen im Wasser vor der Bühne ertränkt. Nach der Aufführung im Vorjahr hatten mir kundige Freunde meine Sorge genommen, der überragenden Hauptdarstellerin werde wirklich Gewalt angetan. Mithilfe eines geübten Tauchers und Sauerstoffzufuhr kann das Liebesopfer minutenlang unter Wasser gehalten werden, bevor es sich zum grandiosen Schlussapplaus unversehrt aus den Fluten des Bodensees erhebt.
Drama ohne Rettung
Seit Jahren sind die Inszenierungen auf der Seebühne gewaltig. Deshalb war die Bedeutung der vielen, mit Blaulicht ausgestatteten Rettungsboote im Hintergrund und am Ostufer des Sees in einigen Hundert Metern Entfernung nicht eindeutig. Am Morgen danach war es allerdings klar: Das Spiel am See war durch ein gleichzeitiges Drama von der Realität eingeholt worden. Ein 28-jähriger Mann ist beim Baden ganz in der Nähe des Seeufers ertrunken. Die gemeinsame aufwendige Suche aller verfügbaren Rettungskräfte und die Reanimation blieben leider erfolglos.
Die Darstellung von Liebe und Tod, die unsere Herzen erfreute, möge die rund 200.000 Besucher der Seebühne in den nächsten Wochen ermutigen, mit Bedacht und Vorsicht dem Leben zu dienen.
Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan