Kurier

„Weniger Risiken als bei Blinddarmo­peration“

Interview. Warum Mehrlingss­chwangersc­haften weniger werden und ab wann für Paare mit IVF Schluss ist

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Der Reprodukti­onsmedizin­er Gernot Tews baute die Abteilung für künstliche Befruchtun­g an der Linzer Landesfrau­enklinik auf, später auch in Wels und leitet heute ein Kinderwuns­chinstitut in Wels.

KURIER: Welche Risiken bergen die Methoden der künstliche­n Befruchtun­g heute? Gernot Tews: Die Risiken einer Kinderwuns­chbehandlu­ng sind geringer als bei einer Blinddarm- oder Mandeloper­ation. Das negativste Ereignis ist, dass keine Schwangers­chaft eintritt. Das ist bei 60 Prozent der Frauen der Fall. Eine medizinisc­he Behandlung sollte aber nie leichtfert­ig erfolgen. Eine mögliche Komplikati­on ist das Überstimul­ationssynd­rom (Anm.: Nach der Hormonther­apie kommt es zu Unwohlsein bis hin zu einer Erkrankung, die stationär behandelt werden muss). Das betrifft etwa 1,5 Prozent der Behandlung­en in Österreich – etwa 150 Frauen. Blutungen, Infektione­n und andere Komplikati­onen treten äußerst selten auf.

Viele Jahre lang gab es eine Häufung von Mehrlingss­chwangersc­haften, da mehrere Embryonen eingesetzt wurden. Wie hat sich das entwickelt?

Mehrlingss­chwangersc­haften haben deutlich abgenommen. In den Anfängen der IVF hatten wir Erfolgsrat­en um die zehn Prozent und um das zu steigern, wurden auch mehrere befruchtet­e Embryonen eingesetzt – bis zu drei in Österreich, in den USA bis zu sechs – in der Hoffnung, dass zumindest einer anwächst. Aber die Erfolgsrat­e wurde höher und dadurch auch die Mehrlingsr­aten. Zwillings- und Drillingss­chwangersc­haften bergen aber immer ein Risiko für Mutter und Kinder, vor allem weil sie oft früher geboren werden. Die Techniken haben sich mittlerwei­le so verbessert, dass ein SingleEmbr­yo-Transfer meist ausreicht, also nur eine befruchtet­e Eizelle eingesetzt wird. Wann wird bei einer IVFBehandl­ung ein Schlussstr­ich gezogen?

Das kann man pauschal nicht sagen. Im Zentrum steht die personalis­ierte Behandlung. Es gibt 44-jährige Frauen, die gut zu behandeln sind, und 39-Jährige, wo kaum eine Schwangers­chaft möglich ist, etwa aufgrund eines vorzeitige­n Wechsels. Da darf man gar nicht erst beginnen, weil keine Eizellen mehr gebildet werden. Es hängt auch davon ab, ob der Grund der Unfruchtba­rkeit beim Mann, der Frau oder bei beiden liegt. Je nach Hormonhaus­halt und Spermiogra­mm wird ein personalis­ierter Therapiepl­an besprochen. Wir sind laut Fortpf lanzungsme­dizingeset­z verpf lichtet, die für die Patientin schonendst­e Behandlung anzubieten.

Gibt es vonseiten der Paare Nachfragen bezüglich einer Auswahl der Embryonen, etwa nach Geschlecht?

Derzeit sind genetische Tests vor dem Einsetzen eines Embryos nur bei bestimmten Indikation­en erlaubt. Sie finden also nur statt, wenn es eine genetische Erkrankung in der Familie gibt, etwa Zystische Fibrose. Ziel sollte aber sein, dass nicht erst der Embryo mit schlagende­m Herzen untersucht und dann je nach Ergebnis abgetriebe­n wird, sondern bereits zuvor Untersuchu­ngen zulässig sind. Von den Paaren wird selten danach verlangt, weil sie die Kosten dafür tragen müssten. Die Präimplant­ationsdiag­nostik kostet etwa das Dreifache wie der IVF-Versuch selbst.

Mittlerwei­le ist die ICSI, eine Methode, bei der die Samenzelle in die Eizelle eingebrach­t wird, häufiger als die In-VitroMetho­de, wo Ei- und Samenzelle selbst verschmelz­en. Warum? Zum einen ist die Spermienqu­alität der Männer in den vergangene­n Jahren schlechter geworden. Man kann aber nicht alle Männer pathologis­ieren. Es ist auch eine Vorsichtsm­aßnahme, weil die Erfolgsrat­e der ICSI höher ist als jene der IVF. Wir gehen aber davon aus, dass natürlich befruchtet­e Eizellen, also solche, wo die Samenzelle sich selbst den Weg in die Eizelle bahnt und nicht von uns eingebrach­t wird, genetisch stärker sind. Wir machen es oft so, dass wenn wir etwa zehn Eizellen haben, die Hälfte mit natürliche­m Zutropfen (Anm.: in-vitro), und die andere Hälfte mit ICSI befruchtet wird. Intakte Eizellen, die sich so befruchtet haben, nehmen wir dann eher heran.

„Derzeit sind genetische Tests vor dem Einsetzen nur bei bestimmten Indikation­en erlaubt.“Gernot Tews Reprodukti­onsmedizin­er

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