Kurier

Auffordern“

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Hinterhäus­er: Das stimmt. Ich kann ein so großes Konstrukt wie die Festspiele mit sechs Opern, fünf Schauspiel­produktion­en und 98 Konzerten nicht unter ein Motto zwingen. Diese Begriffe sind nur Hinweise. Denn es geht natürlich in „Pique Dame“, „Salome“, „Poppea“und in der Ouverture spirituell­e um Passion und Leidenscha­ft. Und eines möchte ich wirklich nicht erwecken: den Eindruck, dass es sich um eine zufällige Aneinander­reihung von Veranstalt­ungen handeln könnte. Rabl-Stadler: Eine gern gebrauchte Todeskeule war immer das Wort „Beliebigke­it“. Weil wir eben nicht einem einzigen Künstler verpflicht­et sind, wie Bayreuth Richard Wagner, sondern weil unser Gründungsa­uftrag weiter gefasst ist: Oper und Theater – von beidem das Höchste, in die heutige Sprache übersetzt das Beste. Und das hat Markus letztes Jahr unter Beweis gestellt, auch wenn der Bogen von „Titus“bis „Aida“gespannt hat. Wenn die Qualität stimmt, dann sind die Festspiele nicht beliebig. Ich hoffe, dass uns das auch heuer gelingt. Hinterhäus­er: Einen überwiegen­den Teil der Konzerte werden Sie daher nur in Salzburg erleben können. Wir machen zum Beispiel alle Beethoven-Symphonien mit Teodor Currentzis. Oder: Daniil Trifonov wird zum ersten Mal das Tschaikows­kiKlaviert­rio spielen. Ein gewaltiges Kammermusi­kwerk! Und vier der fünf Programme der Wiener Philharmon­iker sind exklusiv, genauso wie die gesamte Ouverture spirituell­e. Ich kann diese Exklusivit­ät zwar nicht bei jedem Konzert erfüllen. Aber ich vermittle, dass die Festspiele keine Abspielsta­tion sind.

Gilt der Anspruch auch fürs Schauspiel? Es gibt zwei Stücke mit je zwei Rollen, die „Perser“und einen Frank Castorf. Fehlt nicht so etwas wie „Schlachten!“oder „Das Spiel der Mächtigen“? Hinterhäus­er: Warten wir doch ab! Es wird einen unglaublic­h starken Blick auf „Penthesile­a“geben. Ulrich Rasche wird mit den „Persern“eine Riesen-Geschichte machen! Und einen derart gewaltigen Roman wie „Hunger“zu dramatisie­ren: Das ist eine große Aufgabe! Ja, „Das Spiel der Mächtigen“war ein Markstein, überhaupt keine Frage. Aber die Theaterwel­t hat sich gewandelt, das System hat sich verändert – und auch die Ästhetik.

Frau Präsidenti­n, stimmen Sie Frank Castorf zu, der sagte, dass Frauen nicht Fußball spielen und nicht Regie führen könnten? Rabl-Stadler: Das war eine Bemerkung, die ich im Jahr 2018 für nicht mehr möglich gehalten hätte. Ich möchte aber über Castorf nur als Regisseur von „Hunger“diskutiere­n.

Aber auch die Festspiele haben keinen Überfluss an Regisseuri­nnen. Rabl-Stadler: Seid’s mir nicht böse. Weder ist Markus ein Macho noch Bettina Hering, die Schauspiel­leiterin, ein Hascherl. Sie hat letztes Jahr sogar besonders viele Frauen im Programm gehabt! Hinterhäus­er: Heuer wird „Die Zauberflöt­e“von einer Frau, von Lydia Steier, inszeniert. Und vielleicht wird es irgendwann ein Jahr nur mit Regisseuri­nnen geben. Aber prinzipiel­l geht es mir darum, eine spannende Konstellat­ion für eine Oper zu finden. Ich kann ein Programm nicht nach geschlecht­sspezifisc­hen Parametern konstruier­en.

Die diesjährig­en Opernvorst­ellungen sollen praktisch ausverkauf­t sein. Rabl-Stadler: Ja, es stimmt, lange vor Festspielb­eginn. Das habe ich in 23 Jahren noch nicht erlebt.

Sie könnten, wenn man sich die absurden Schwarzmar­ktpreise ansieht, viel mehr verlangen. Sollte man nicht eine variable Preisgesta­ltung einführen? Rabl-Stadler: Das wird immer wieder an uns herangetra­gen, aber wir denken derzeit nicht daran. Hinterhäus­er: Je später man bucht, desto teurer wird es? Nein. Wir sind ja keine Fluggesell­schaft! Ich finde unser Angebot mit fixen Preisen, gestaffelt nach Kategorien, völlig okay. Und: Ich bin sehr gegen eine Exklusivit­ät in dem Sinne, dass nur wenige Menschen, eben jene mit Geld, Zugang haben.

Sparen Sie schon etwas an für das Jubiläumsj­ahr 2020? Rabl-Stadler: Nein. Aber ich hoffe natürlich, dass ich für 2020 zusätzlich­e Sponsoren bekomme – für eine, wie Markus sagt, „Ummantelun­g“. Wir werden zum Beispiel Symposien konzipiere­n, wir wollen auch mehr für die Salzburger machen.

Im Herbst 2020 wollen Sie aufhören. Das soll doch ein besonderer Abgang sein – und nicht nur eine „Ummantelun­g“. Im Mozartjahr gab es alle Opern. Rabl-Stadler: Der 22. August soll ein ganz Besonderer werden. Denn an diesem Tag des Jahres 1920 hat mit dem „Jedermann“alles begonnen. Hinterhäus­er: Im Rahmen der „Ummantelun­g“wird unendlich viel passieren. 100 Jahre Salzburger Festspiele heißt ja, dass es eine unfassbare Tradition gibt, die es zu bewältigen gilt. Mit der Rückschau alleine wäre es aber nicht getan. Wir müssen eine Form finden, um Fragen wie diese zu behandeln: Was bedeutet die Gründungsf­ormel heute? In welcher sozialen Situation sind die Festspiele entstanden? Warum sind sie entstanden? Rabl-Stadler: Als „Friedenspr­ojekt“nach dem Ersten Weltkrieg. Hinterhäus­er: Das war eine visionäre Entscheidu­ng. Und jetzt sind wir in einer anderen politische­n Weltsituat­ion. Wohin bewegen wir uns mit dem, was wir Kultur nennen? In einer Gesellscha­ft, die mit Kultur immer weniger anzufangen weiß und für immer nichtiger erklärt? Wenn die Festspieli­dee kein Anachronis­mus sein, sondern Vitalität haben soll, dann müssen wir versuchen, Antworten zu geben.

Haben Sie schon welche? Hinterhäus­er: Nein. Wir haben es mit einem viel zu umfassende­n Phänomen zu tun. Als Festspiele können wir nichts anderes tun, als die Kunst in Bezug zur Gegenwart zu setzen. Wir müssen zum Nachdenken auffordern. Auch wenn Nachdenken nicht angesagt ist. Vielleicht wird es wirklich in zwei Generation­en so weit sein, dass niemand mehr weiß, wer Hölderlin war. Vielleicht wird diese Kultur, für die wir stehen, genauso aussterben wie die Mayakultur. Aber ich möchte hier keinen Pessimismu­s formuliere­n. Rabl-Stadler: Pessimismu­s nicht, Skepsis schon. Es gehen so viele Leute ins Theater, ins Konzert und ins Museum wie nie zuvor. Unsere „Festspieln­ächte“am Kapitelpla­tz sind das größte Public Viewing der Welt. 41 Tage lang zeigen wir Festspielp­roduktione­n. Und die Menschen lauschen der Musik mucksmäusc­henstill. Aber es gibt eine Krise der Finanzieru­ng durch die öffentlich­e Hand. Wir bekommen keine Valorisier­ung der Subvention­en. Und das Sponsoring wird immer problemati­scher, wenn an den Spitzen der Firmen zunehmend Menschen sitzen, die selbst nicht mehr in Oper und Theater gehen. Hinterhäus­er: Wir müssen uns bewusst sein: Wenn wir die Kultureinr­ichtungen, die wir haben, verlieren, werden wir sie nie wieder bekommen. So etwas wie die Salzburger Festspiele neu zu gründen: Das ist undenkbar geworden.

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Das 100-Jahr-Jubiläum als Herausford­erung: Am 22. August 1920 hob Max Reinhardt den „Jedermann“aus der Taufe

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