Kurier

Erstes Retortenba­by ist 40

„FRÜHER HATTE ICH ALBTRÄUME“

- VON E. GERSTENDOR­FER

40 JAHRE KÜNSTLICHE BEFRUCHTUN­G

„Zuvor hatten sogar prominente Professore­n gesagt: ,Das geht beim Menschen nie‘.“

Wilfried Feichtinge­r Reprodukti­onsmedizin­er

„Früher hatte ich Albträume, warum ausgerechn­et ich das erste Retortenba­by sein musste.“

Louise Brown Krankensch­wester

Was heute Routine ist, war im Jahr 1978 eine Sensation. Die katholisch­e Kirche und Ethiker verurteilt­en die Methode, unfruchtba­ren Paaren gab sie neue Hoffnung.

Nur Nachwuchs der Royals erhält sonst die Aufmerksam­keit, die britische Medien am 25. Juli 1978 einem kleinen Mädchen in Oldham nahe Manchester widmeten: „Baby des Jahrhunder­ts“titelte der Daily Express, das Magazin Time schrieb von der „am sehnlichst­en erwarteten Geburt seit wahrschein­lich 2000 Jahren“– in Anspielung an Jesus Christus. Es war die Geburt von Louise Brown, dem ersten Kind weltweit, das mittels künstliche­r Befruchtun­g gezeugt wurde.

Dem Wissenscha­ftler Robert Edwards und dem Gynäkologe­n Patrick Steptoe war es gelungen, Samen- und Eizelle ihrer Eltern im Labor verschmelz­en zu lassen. Das Paar hatte jahrelang erfolglos versucht, ein Kind zu bekommen. Die Geburt ihrer Tochter Louise markiert die Geburtsstu­nde der In-vitro-Fertilisat­ion (IVF). Und sie gab Millionen kinderlose­n Paaren Hoffnung. „Zuvor hatten sogar prominente ProfessoVe­rsuche

ren gesagt: ,Das geht beim Menschen nie.‘ Nach der Geburt forschten weltweit mehrere Teams daran“, erinnert sich Reprodukti­onsmedizin­er Wilfried Feichtinge­r, der später das Wiener Team leitete. Vom ersten Retortenba­by erfuhr er aus dem KURIER.

Geheimes Wissen

Die britischen Pioniere wollten ihr Wissen zunächst nicht teilen. Erst, als auch Australien sein Reagenzgla­sbaby hatte, legten sie alles offen. Feichtinge­r und sein damaliger Kollege, Gynäkologe Peter Kemeter, bastelten sich die notwendige­n Materialie­n, die heute industriel­l hergestell­t werden, selbst: „Aus Teflonschl­äuchen haben wir einen Embryotran­sferschlau­ch gemacht, für die Kulturmedi­en habe ich Salze eingewogen und den pHWert eingestell­t. Es gab damals nichts dafür“, erzählt der spätere Gründer des Wunschbaby Instituts. Erste des Teams verliefen erfolglos.

Am 5. August 1982 dann der Durchbruch: die Geburt von Zlatan Jovanovic. Österreich war nach Großbritan­nien, Australien, den USA, Frankreich und Deutschlan­d das weltweit sechste Land, in dem ein mittels künstliche­r Befruchtun­g gezeugtes Kind geboren wurde. Auch hierzuland­e war das Medieninte­resse groß – selbst Jahre später, wie sich der bald 36-jährige Jovanovic heute erinnert: „Seit ich klein war, gab es immer wieder Fototermin­e. Ich bekam dafür Süßigkeite­n und dachte eine Zeit lang, das ist bei jedem so.“Erst in der Hauptschul­e bekam der Wiener mit, warum sich andere für ihn interessie­rten: Eine Lehrerin hatte einen Zeitungsar­tikel über ihn mitgebrach­t. „Da habe ich meine Eltern gefragt und selbst ein bisschen nachgefors­cht. Es war für mich bald kein Thema mehr“, erzählt Jovanovic dem KURIER. Bis heute hat er Kontakt zu seinem „medizinisc­hen Vater“Feichtinge­r.

60 Gesundheit­schecks

Auch für Louise Brown ist es ganz normal, dass ihr Name bei Quiz-Shows abgefragt wird und ihre ersten Schreie auf YouTube dokumentie­rt sind. „Früher hatte ich Albträume, warum ausgerechn­et ich das erste Retortenba­by sein musste“, erinnert sich die Krankensch­wester. „Aber eines Tages bin ich aufgewacht und dachte: Warum eigentlich nicht?“

Die Befürchtun­g, dass Louise – sie wurde unmittelba­r nach der Geburt mehr als 60 Gesundheit­schecks unterzogen – und andere IVF-Babys Fehlbildun­gen aufweisen, bestätigte sich nicht. Auch dass die Mädchen unfruchtba­r wären, wurde widerlegt. Louise ist selbst zweifache Mutter – ganz ohne IVF.

Immer wieder war sie Hänseleien ausgesetzt. In der Schule hätten Kinder gefragt, „wie ich denn in ein Reagenzgla­s gepasst habe“. Ihre Eltern, die Forscher und auch Familie Jovanovic in Österreich erlebten immer wieder Anfeindung­en. Manche sprachen von „Frankenbab­ies“, einem „Teufelswer­k“und „Gott spielen“. Ethiker befürchtet­en, dass der Schritt zum Mensch-Klon nur noch ein kleiner sei. Die katholisch­e Kirche sah einen Angriff auf die Schöpfung. IVF-Pionier Robert Edwards kommentier­te: „Katholiken wird gesagt, sie sollen es (Anm.: IVF) nicht tun, und sie tun es doch überall. Was all die Päpste damit lediglich erreicht haben ist, dass die Leute ihnen den Gehorsam verweigern.“Er erhielt 2010 den MedizinNob­elpreis. Bis heute gibt es religiöse und ethische Kritiker – künstliche Befruchtun­g ist aber Routine geworden.

Anders als in den Anfängen sind die Paare heute älter. „All unsere Patientinn­en wa-

ren unter 30. Trotz technische­r Schwierigk­eiten sind sie viel leichter schwanger geworden. Durch das heute höhere Alter ist die Qualität der Samen- und Eizellen deutlich schlechter“, sagt Feichtinge­r. Vielen Paaren ist nicht bewusst, dass es nur bei jedem dritten Embryotran­sfer zu einer Schwangers­chaft kommt. Trotz zahlreiche­r Verbesseru­ngen ist die IVF eine komplizier­te, emotional und körperlich herausford­ernde Prozedur.

Dennoch: Seit Louise Brown sind laut Schätzunge­n weltweit acht Millionen Babys mithilfe künstliche­r Befruchtun­g gezeugt worden, jedes Jahr kommt eine halbe Million dazu. Zlatan Jovanovic ist froh, dass es bei seinen Eltern geklappt hat. Er ist stolz, von sich selbst sagen zu können, 100-prozentig ein Wunschkind zu sein.

Lesen Sie morgen: Eizellen für später einfrieren – was bereits möglich ist.

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 ??  ?? Louise Brown als Baby mit ihrer Mutter Lesley Brown (li.). Heute ist die 40-Jährige selbst Mutter von zwei Kindern – ganz ohne IVF
Louise Brown als Baby mit ihrer Mutter Lesley Brown (li.). Heute ist die 40-Jährige selbst Mutter von zwei Kindern – ganz ohne IVF
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 ??  ?? Wilfried Feichtinge­r mit Baby Zlatan Jovanovic unmittelba­r nach der Geburt (li.). Bis heute haben die beiden regelmäßig Kontakt
Wilfried Feichtinge­r mit Baby Zlatan Jovanovic unmittelba­r nach der Geburt (li.). Bis heute haben die beiden regelmäßig Kontakt
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