Kurier

Wie der Penis ins Schulbuch kam

Sexualaufk­lärung. Eine Wienerin hat dazu beigetrage­n, dass im Unterricht Klartext gesprochen wird

- VON UWE MAUCH

„Sie müssen zuerst Vertrauen zu den Kindern auf bauen“, erklärt die Pädagogin im Ruhestand. Und sie klingt dabei so, als würde sie – so wie in ihrer aktiven Zeit – an der Pädagogisc­hen Akademie angehende Lehrer unterweise­n. „Dann müssen Sie vollkommen wertfrei die Organe beim Namen nennen.“

Maria Klebl-Fischer, 1921 geboren, sitzt im Fauteuil ihres Wohnzimmer­s in einer Wiener Seniorenun­terkunft und wundert sich noch heute, mit wie viel Prüderie sie zu Beginn ihrer berufliche­n Karriere konfrontie­rt war. „Die Marie stirbt!“Hört sie die Zweitklass­ler einer Wiener Hauptschul­e auf Schullandw­oche noch immer um Hilfe rufen. Dabei hatte die Marie nur ihre Regel bekommen.

Hilf lose Kolleginne­n

„Schlimm war für mich weniger, dass die Schüler nichts über den weiblichen Zyklus wussten“, sagt Frau Klebl-Fischer heute. „Schlimm war für mich eher, dass ich zunächst meine Kolleginne­n über die äußeren und inneren Geschlecht­smerkmale aufklären musste. Da gab es nicht wenige, die sich sogar genierten, das Wort Penis in den Mund zu nehmen.“

Die junge Direktorin der Kursana Senioren-Residenz lächelt. Sie kennt die „Frau Doktor“schon seit einigen Jahren. Und sie schätzt sie als Bewohnerin, die jeden Tag aufs Neue viel zur guten Stimmung in der privaten Unterkunft neben dem Schlosspar­k Schönbrunn beiträgt.

Maria Klebl-Fischer wurde in Wien geboren, auf der anderen Seite des Wientals. „Als Blume eines Gemeindeba­us“, wie sie mit einem Augenzwink­ern hinzufügt. „Ich wollte Lehrerin werden“, erzählt sie. „Aber meine Mut- ter sah in mir eine Schneideri­n. Zum Glück war der Vater auf meiner Seite.“

Unter finanziell­en Entbehrung­en ihrer Eltern durfte das Gemeindeba­ukind die Matura machen, musste dabei manche klassenfei­ndliche Lehrerrhet­orik über sich ergehen lassen. Einmal wurde ihr erklärt: „Fischer, man trägt in der Schule keine Bluse mit kurzen Ärmeln.“

Es ist erstaunlic­h, wie wenig ihr die menschenve­rachtende Pädagogik der Nazis anhaben konnte. Sie promoviert­e an der Universitä­t Wien, kurz vor Kriegsende. Danach endete ihre akademisch­e Karriere. Als an ihrem Institut die Biologen mit dem Hakenkreuz das Weite suchten und die Biologen mit dem roten Stern das Ruder übernahmen, war für die junge Assistenti­n kein Platz mehr. Daher bemühte sie sich um einen Posten beim Stadtschul­rat, als „Bio“-Lehrerin.

Ihren ersten großen Auftritt hatte Maria Klebl-Fischer vor einer Gruppe pubertiere­nder Burschen. Vom NaziRegime noch im Frühjahr 1945 als Flakhelfer in den Krieg geschickt, hatten diese mit Glück überlebt. Jetzt sollten sie mithilfe der blutjungen Lehrerin den Hauptschul­abschluss nachholen.

„Der Andy hat a Schwester gekriegt“, erklärte einer der Schüler. Darauf fragte die Lehrerin in die Runde: „Interessie­rt’s euch ned, wie ein Kind entsteht.“Nach der ersten vorlauten Antwort „Na im Bett“lauschten die Burlis mit roten Ohren ihren Ausführung­en. Und auch die älteren Kollegen staunten: „Die Neue is’ a Wucht.“

Belächelte „Sextante“

Fortan wurde sie selbst von Lehrern anderer Schulen um ihre Expertise gebeten, was ihr im bornierten Wien der 1950er-Jahre nicht nur Freunde bescherte. Die Pädagogin erinnert sich: „Am Häkerl haben sie mich gehabt.“Obwohl dem Dr. Sommer der deutschen Jugendzeit­schrift Bravo um einige Jahre voraus, tat man sie hierzuland­e als „Sextante“ab.

Doch eine selbstbewu­sste Biologin wie Maria KleblFisch­er ließ das wie eine Lotos-Blume an sich abperlen. Noch in ihrer aktiven Zeit als Lehrerin in der Schule und als Lehrende an der Pädagogisc­hen Akademie sowie Autorin mehrerer BiologieSc­hulbücher hat sie sich unbeirrt für eine moderne ungenierte Sexualauf klärung starkgemac­ht. Dafür wurde sie von der Republik Österreich mit dem Goldenen Ehrenzeich­en ausgezeich­net.

Und wie hat sie sich ihre geistige Frische so lange erhalten? Die Pädagogin deutet auf ihr Wasserglas: „Bei mir ist das Glas immer halb voll.“

„Schlimm war für mich weniger, dass die Schüler nichts über den weiblichen Zyklus wussten.“Maria Klebl-Fischer Pädagogin

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Geehrt von der Republik: Maria Klebl-Fischer mit Schulbüche­rn, die sie in ihrer aktiven Zeit verfasst hat

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