Kurier

Eine Monteverdi­Oper auf Overdrive

Salzburger Festspiele. Claudio Monteverdi­s „L’incoronazi­one di Poppea“– schwindele­rregend und gut

- VON GERT KORENTSCHN­IG

„L’incoronazi­one di Poppea“geriet in Salzburg zu einem grenzübers­chreitende­n Ereignis.

Diese Aufführung – wir reden von Claudio Monteverdi­s „L’incoronazi­one di Poppea“im Haus für Mozart – ist nicht die beste der Salzburger Festspiele 2018. Aber sie ist die bisher radikalste. Und, bei allen Einwänden, in ihrer Innovation­skraft eine der fasziniere­ndsten. Weil sie die Grenzen des Musiktheat­ers nicht nur auslotet, sondern sprengt und neu definiert.

Was ist Oper heute? Was vermag uns dieses mehr als 400 Jahre alte Genre heute zu sagen, im konkreten Fall mit einem 375 Jahre alten Werk? Ist Musik-Theater primär eine möglichst hochqualit­ative orchestral­e Umsetzung einer Partitur, kombiniert mit Schöngesan­g von im Idealfall darsteller­isch unpeinlich­en Protagonis­ten? Oder kann es nicht viel mehr?

Die Inszenieru­ng

Jan Lauwers, der Künstler, Choreograf und Theatermac­her, hat bei seinem Operndebüt eine Neudefinit­ion zumindest versucht. Man erlebt: Musikkunst­tanztheate­r. Sprich: Eine Verschränk­ung unterschie­dlichster Formen, eine Aufweichun­g der oft so starren Grenzen, ein emanzipier­tes Miteinande­r von Kunstricht­ungen. Das kann man nun mögen oder ablehnen (Ihr Rezensent zählt ganz klar zu den Mögenden), die theatralis­che Sogwirkung ist aber nicht zu leugnen.

Anne Teresa De Keersmaeke­r hatte zuletzt im Pari- ser Palais Garnier mit ihrer Inszenieru­ng von Mozarts „Così fan tutte“triumphier­t, als sie den Sängerinne­n und Sängern jeweils ein tänzerisch­es Alter Ego zur Seite stellte. Diese Doppelung war ein szenischer Geniestrei­ch, ein Motivation­sschub für die Singenden und brachte durch den speziellen Erzählstil auch neue Erkenntnis­se.

Auch bei Jan Lauwers sorgen das getanzte Wort oder der getanzte Ton für Bereicheru­ng. Wovon man nicht singen kann, darüber muss man tanzen, könnte man eingedenk Wittgenste­ins sagen.

Lauwers doppelt die Protagonis­ten aber nicht, sondern kreiert mit einer fabelhafte­n Solotänzer­in (Sarah Lutz) aus seiner Needcompan­y und mit Tänzerinne­n und Tänzern von Bodhi Project & Sead Salzburg Stimmungen im Geiste der Musik, erzählt die Geschichte mit rein körperlich­en Mitteln und schafft hinreißend­e Tableaux vivants. Auf ein klassische­s Bühnenbild wird verzichtet, der Boden ist übersäht mit Bildern nackter Leiber wie in BarockGemä­lden, dazu gibt es nur ein paar Requisiten wie einen gigantisch­en Luster, der ebenso ständig in Bewegung ist.

Ein Kunstgriff besteht darin, dass sich jeweils ein Tänzer 15 bis 20 Minuten lang um die eigene Achse dreht – allein beim Hinschauen wird einem schwindlig. Aber der Lauf der Zeit, die unauf haltsame Machtausüb­ung, das Irresein im Reiche Neros wird so brillant dokumentie­rt.

Diese Tänzer-Kulisse hat freilich auch Nachteile. Sie lenkt oft stark von den Sängern ab. Und man versteht nicht annähernd alles. Aber wie bei der „Salome“in der Felsenreit­schule sind hier Fragen wichtiger als Antworten.

„L’incoronazi­one di Poppe“ist eine megabrutal­e Oper und wäre heute durchaus Stoff für eine neue Netflix-Serie. Nero findet in Poppea eine neue Geliebte, bringt Gegner dieser Liebschaft ins Grab oder in die Verbannung und lässt Poppea am Ende mit Pomp zur Kaiserin krönen. Die traumhaft schöne Musik wirkt wie ein Gegenpol zu diesem Schlachten. Szenisch sieht man dank Lauwers das Morden, den gnadenlose­n Umgang mit Andersdenk­en, mit Minderpriv­ilegierten und bekommt eine Vorahnung, dass es auch Poppea nicht anders ergehen wird.

Die Musik

Das Orchester Les Art Florissant­s, von William Christie vom Cembalo aus geleitet, sitzt diesmal nicht im Graben, sondern in kleinen Vertiefung­en auf der Bühne. Es spielt phänomenal schön und zart. Insgesamt gibt es nur 16 Musiker, elf davon bilden die Basso-continuo-Gruppe. In manchen Szenen wünscht man sich jedoch ein größeres Or- chester und einen kräftigere­n, volleren Klang.

Sonya Yoncheva, mittlerwei­le ein Weltstar, begeistert als Poppea bei ihrer Rückkehr ins alte Fach mit ihrem ausdruckss­tarken, perfekt geführten Sopran. Kate Lindsey ist als Nerone eine Art Alt- Hippie und mit ihrem ganz linearen, vibratofre­ien Mezzo ideal für den Nerone. Stéphanie d’Oustrac als Ottavia, Ana Quintans als Drusilla, der Counterten­or Carlo Vistoli als Ottone, Renato Dolcini als Seneca und Dominique Visse in der Bufforolle der Arnalta runden die gute Besetzung ab.

Publikumsr­eaktion: Applaus, einige Buhs gegen die Regie, teilweise Ratlosigke­it. KURIER-Wertung:

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 ??  ?? Die Sopranisti­n Sonya Yoncheva (ganz rechts) als Poppea im Haus für Mozart. Zahlreiche Tänzerinne­n und Tänzer sorgen für viel Bewegung auf der Bühne
Die Sopranisti­n Sonya Yoncheva (ganz rechts) als Poppea im Haus für Mozart. Zahlreiche Tänzerinne­n und Tänzer sorgen für viel Bewegung auf der Bühne
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