Kurier

Wie die Türkei-Krise überzuschw­appen droht

Nach dem Lira-Verfall steigt die Nervosität an den Börsen und in den Bankhäuser­n

- VON SIMONE HOEPKE

Zum Wochenstar­t starrten Börsianer gebannt auf die Türkei – und was sie dort sahen, gefiel ihnen gar nicht.

Die türkische Lira hat seit Jahresbegi­nn 40 Prozent an Wert verloren, ein Wirtschaft­swachstum von sieben Prozent ist Geschichte und als Draufgabe sind gestern die US-Strafzölle für die Türkei in Kraft getreten. Und zwar mit 50 statt bisher 25 Prozent. „Stahl ist der viertstärk­ste Industries­ektor der Türkei, fünf der zwanzig größten Exporteure des Landes sind Stahlprodu­zenten“, erläutert Georg Krenn, Österreich­s stellvertr­etender Wirtschaft­sdelegiert­er in Istanbul. Er beziffert die türkischen Stahlexpor­te in die USA mit aktuell 1,1 Milliarden US-Dollar.

Gift-Cocktail

Alles in allem ergeben die jüngsten Ereignisse am Bosporus einen Gift-Cocktail, der Börsianern und Wirtschaft­swissensch­aftlern gleicherma­ßen die Schweißper­len auf die Stirn treibt. Experten fürchten längst, dass sich die Türkei-Krise zu einer europäisch­en Bankenkris­e und in Folge zu einer Finanzkris­e auswächst. Banken rund um den Globus haben haben in der Türkei rund 194 Milliarden Euro Kredite ausständig, geht aus den Zahlen der Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich (BIZ) hervor. Allein spanische Institute sollen 80 Milliarden Dollar im Feuer haben, bei Österreich­s Banken geht es um insgesamt eine Milliarde.

Türkische Firmen und Banken, die sich in Dollar und Euro verschulde­t haben, können die Schuldenla­st nach der Lira-Abwertung schwerer stemmen. Ein Problem, mit dem unter anderem Firmen der Immobilien- und Baubranche kämpfen: Sie haben ihr Wachstum zuletzt mit Dollar-Krediten finanziert, kassieren ihre Einnahmen aber in türkischer Währung, die von einer Abwertung zur nächsten taumelt. Fremdwähru­ngsschulde­n zurückzuza­hlen, wird so zum Kunststück. Damit reißen betroffene Firmen Institute abseits des Bosporus in den Strudel der Türkei-Krise. Berechnung­en zufolge sind ein Drittel der Schulden des privaten Sektors binnen eines Jahres fällig.

Clemens Fuest, Chef des Münchner Wirtschaft­sforschung­sinstituts Ifo, hält die aktuelle Lage für brandgefäh­rlich. „Wir müssen uns massiv Sorgen machen“, sagt er im Handelsbla­tt- Interview und spricht von einer „klassische­n Wirtschaft­sund Währungskr­ise“. Eine einfache Lösung könne man sich abschminke­n. Geht es nach Fuest, sollten die Türken beim IWF um Hilfe ansuchen. „Die Europäer sollten diesen Weg unterstütz­en.“Ob es Erdoğans Naturell entspricht, als Bittstelle­r gegenüber dem Westen vorstellig zu werden, darf bezweifelt werden. Zumindest, so lange er andere Wege sieht.

Effekte verpufft

Währenddes­sen versucht die türkische Zentralban­k den freien Fall der Landeswähr­ung zu stoppen, in dem sie an der Zinsschrau­be dreht. Bereits mehrmals wurden die Leitzinsen erhöht, die Effekte verpufften, der Kurssturz beschleuni­gte sich.

Investoren gefällt es zudem gar nicht, dass Erdoğan immer mehr in die Geldpoliti­k hineinregi­ert.

Auch, dass die Notenbank die Inf lation von aktuell rund 16 Prozent in den Griff bekommt, wird bezweifelt. „Das Inf lationszie­l der türkischen Zentralban­k liegt bei fünf Prozent. Das haben sie seit 2011 nicht erreicht“, sagt Richard Grieveson, Türkei-Experte des Wiener Instituts für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e (wiiw). Auch er sieht die offensicht­liche Entschloss­enheit, mit der Erdoğan es auf den Wirtschaft­skrieg mit den USA ankommen lässt, als gefährlich. „Wenn er diesen Kurs weiter verfolgt, wird die türkische Wirtschaft schwer darunter leiden.“

Bisher trüben die neuesten Entwicklun­gen noch nicht die Stimmung in den Straßen Istanbuls, glaubt Georg Krenn. „Die Abwertung der Lira wirkt sich ja noch nicht auf die Endpreise im Land aus. Wer nichts mit den USA und Europa zu tun hat, merkt also noch keine Auswirkung­en.“Gestern hätten sich lediglich vor einem Louis Vuitton Geschäft lange Menschensc­hlangen gebildet. Araber haben den niedrigen Lira-Kurs dazu genutzt, sich mit der neuen Kollektion des französisc­hen Luxuslabel­s einzukleid­en, hat der Wirtschaft­sdelegiert­e beobachtet.

Umso turbulente­r ging es zum Wochenstar­t an Europas Börsen zu. Vor allem Banktitel kamen unter Druck. Die italienisc­he UniCredit, die eine 40,9-Prozent-Beteiligun­g an der türkischen Yapi Kredit Bank hält, gab um 3,46 Prozent nach, die Deutsche Bank lag 2,17 Prozent im Minus. Auch österreich­ische Firmen bekommen die TürkeiKris­e zu spüren, etwa das Cateringun­ternehmen Do&Co. Zwischenze­itlich brach der Titel des stark am türkischen Markt engagierte­n Unternehme­ns um fast zwölf Prozent auf 49,15 Euro ein.

Posse um Postings

Währenddes­sen kündigt das türkische Innenminis­terium Maßnahmen gegen negative Kommentare zur Wirtschaft in sozialen Netzwerken an. Seit dem 7. August seien 346 Nutzerkont­en auf sozialen Netzwerken ausgemacht worden, in denen der Verfall der Landeswähr­ung Lira auf provoziere­nde Art und Weise kommentier­t wurde.

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