Kurier

Beleidigt, bedroht, geschlagen – „aber der Grill blieb mir erspart“

Michelle Bachelet. Diktaturop­fer und Expräsiden­tin in Chile wird neue UN-Menschenre­chtskommis­sarin. Vorschussl­orbeeren und kritische Stimmen

- – TOBIAS KÄUFER, BOGOTA

Sie steht für eine der wohl ungewöhnli­chsten Karrieren in der lateinamer­ikanischen Politik. Michelle Bachelet (66), Kinderärzt­in, Diktaturop­fer und zweimalige Präsidenti­n Chiles, wird neue UNMenschen­rechts kommissari­n und damit so etwas wie die Oberaufseh­erin über die Menschenre­chte auf diesem Planeten. Bachelet hat am eigenen Leib erlebt, was es heißt, Opfer einer Diktatur zu werden. „Mein Kopf steckte in einer Kapuze und man hat mich beleidigt, bedroht, auch mal geschlagen. Aber der Grill ist mir erspart geblieben“, berichtete Bachelet einmal über die Erfahrunge­n während der chilenisch­en Militärdik­tatur, als die Schergen von General Augosto Pinochet Jagd auf Sozialisti­nnen wie Bachelet machten.

Der Grill war ein gefürchtet­es Foltergerä­t: ein Bettgestel­l für Elektrosch­ocks. Ihr Vater, loyal zum sozialisti- schen Präsidente­n Salvador Allende stehend, hatte weniger Glück: Er wurde nach dem Militärput­sch vom 11. September 1973 inhaftiert und starb an den Folgen von Folter. Bachelet ging ins Exil in die DDR. Am Herder- Institut der Universitä­t Leipzig lernte sie Deutsch. An der Humboldt-Universitä­t zu Berlin studierte sie Medizin.

Zurück in Chile machte die Kinderärzt­in und Atheistin als Politikeri­n Karriere: Erst als Verteidigu­ngsministe­rin, später als Präsidenti­n. Ihre erste Präsidents­chaft 2006 bis 2010 galt als die erfolgreic­hste Zeit.

Eine Frau und Sozialisti­n an der Spitze eines einst von brutalen Militärs geführten Landes war der sichtbare Wendepunkt in der chilenisch­en Geschichte. Weil die chilenisch­e Verfassung nur eine Amtszeit zulässt, musste sie bis 2014 auf ihre zweite Kandidatur warten. Wieder ein strahlende­r Wahlsieg. Doch danach litt ihr Ruf. Schuld war ein Korruption­sskandal in der eigenen Familie. Auch im Umgang mit den Mapuche, den chilenisch­en Ureinwohne­rn, werfen ihr Kritiker vor, sie habe nur auf Schlagzeil­en, aber nicht auf wirkliche Veränderun­gen hingearbei­tet.

Auf linkem Auge blind?

Für das im Namen des chilenisch­en Staates begangene Unrecht entschuldi­gte sich Bachelet bei den Indigenen. Ihre Kritiker werfen ihr aber vor, wegen ihrer DDR-Zeit gegenüber Linksdikta­turen in Nicaragua, Venezuela und Kuba zu nachsichti­g, also auf dem linken Auge blind zu sein. Dass die ersten Glückwünsc­he zur neuen Aufgabe aus Caracas und Havanna kamen, überrascht deshalb nicht. Zu Raul und Fidel Castro verband sie eine persönlich­e Freundscha­ft, obwohl die Castros in den ersten Jahren der Revolution zu den gleichen Menschenre­chtsverlet­zungen griffen wie die Pinochet-Diktatur.

Die US-Botschafte­rin bei der UNO, Nikki Haley, schickte deshalb einen bittersüße­n Gruß: Sie hoffe, dass Bachelet ihre Stimme gegenüber den Menschenre­chtsverlet­zungen in Kuba, Venezuela und im Iran erhebe.

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Die Stationen der Michelle Bachelet (66): Diktaturop­fer, DDR-Exil, Kinderärzt­in, Präsidenti­n in Chile – jetzt UN-Kommissari­n

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