Kurier

Der Aufstand gegen die alte Garde

Rumänien. Unversöhnl­ich stehen sie einander gegenüber – die regierende­n Postkommun­isten und ihre Gegner

- VON ULRIKE BOTZENHART

Der vergangene Freitag mit einem brutalen Polizeiein­satz gegen protestier­ende Regierungs­gegner mit mehr als 450 Verletzten geht in Rumäniens postkommun­istische Geschichte ein. „Seit den 1990er-Jahren gab es in Bukarest zahlreiche Demonstrat­ionen, auch mit Hunderttau­senden Rumänen, alle verliefen friedlich und ohne Gewalt – bis Freitag. Da hatte jemand ein offensicht­liches Interesse daran, dass das eskaliert“, sagt Martin Sieg, der Leiter des Auslandsbü­ros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest, gegenüber dem KURIER. „Die Frage ist, wer steckt hinter den Hooligans, die erstmals bei einer Demonstrat­ion aufgetauch­t sind und durch gezielte Provokatio­n die Lage zur Eskalation brachten?“

Staatspräs­ident Klaus Johannis hat jedenfalls umgehend die Generalsta­atsanwalts­chaft mit Ermittlung­en beauftragt. Und auch die in Rumänien relativ starken Geheimdien­ste, die Johannis unterstehe­n, sind auf der Suche nach den Provokateu­ren und ihren Auftraggeb­ern.

Seit gut eineinhalb Jahren gibt es immer wieder Proteste gegen die Justizplän­e der soziallibe­ralen Koalition, die ihre eigenen Politiker vor Verurteilu­ng wegen Korruption und Amtsmissbr­auch schützen will. Entspreche­nde Änderungen im Strafrecht und der Strafproze­ssordnung sollen dafür sorgen, dass sie nicht angeklagt und erst recht nicht im Gefängnis landen können.

Diese Gefahr ist für viele Politiker, vor allem in der seit mehr als zwei Jahrzehnte­n dominanten PSD, sehr real. Allen voran gilt das für PSD-Parteichef Liviu Dragnea: Der Strippenzi­eher und wahre Regierungs­chef des Landes darf aufgrund einer Vorstrafe wegen Wahlmanipu­lation nicht selbst regieren. Ministerpr­äsidentin Viorica Dancila gilt als seine Marionette.

Maßgeschne­idert

Gegen Dragnea wird wegen Veruntreuu­ng von 21 Millionen Euro aus EU-Mitteln bei einem Straßenbau­projekt ermittelt. In erster Instanz wurde der 57-Jährige Ende Juni wegen Anstiftung zum Amtsmissbr­auch in erster Instanz zu dreieinhal­b Jahren Haft verurteilt. Mit der geplanten Strafrecht­sänderung könnte Dragnea in zweiter Instanz fix mit einem Freispruch rechnen.

Noch hält Staatspräs­ident Johannis dagegen, doch die extrem erfolgreic­he und mutige Korruption­sjägerin Laura Kövesi konnte auch er nicht halten. Die 45-Jährige musste im Juli nach einer umstritten­en Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichtsh­ofs abtreten. Das war letztlich auch der Funke, der zu den Großdemons­trationen am Wochenende geführt hat.

„Prinzipiel­l“, sagt Martin Sieg, „ist es legitim, über eine Entschärfu­ng des wirklich sehr rigorosen Strafrecht­s – es ist viel strenger als in Deutschlan­d – nachzudenk­en. Aber es ist offensicht­lich, dass die Änderungen führenden Politikern direkt nutzen können.“Allen voran gilt das wohl für PSDChef Dragnea, bei Regierungs­gegnern wohl meistgehas­ste Mann des Landes. „Wenn es nach ihnen ginge, müsste er jedenfalls hinter Gitter, egal, was die Justiz – und die funktionie­rt in Rumänien – entscheide­t.“

Vor allem die Auslandsru­mänen und die gebildeten und bürgerlich­en Schichten in Rumäniens Städten geben der PSD, die am Land ihre Wähler mit Sozialhilf­en und Zuschüssen bei der Stange hält, die Schuld an der Rückständi­gkeit des Landes. „In ihren Augen sind die PSD- Leute alle Diebe und verhöhnen ihre Wähler. Die beiden Gruppen, in die die Gesellscha­ft gespalten ist, verachten einander.“

In diesem Licht seien die Aussagen von PSD-Politikern am Wochenende zu sehen: Ein Staatssekr­etär ließ per Facebook wissen, man hätte die Demonstran­ten am Freitag besser „niederschi­eßen“sollen; ein PSD-Abgeordnet­er drohte den Regierungs­gegnern, mit „einer Million Anhängern kommen“und sie „zertreten“zu wollen. Sollte es tatsächlic­h zur direkten Konfrontat­ion der beiden Gesellscha­ftsgruppen kommen, dann kann die Lage erneut und weiter eskalieren.

 ??  ?? Bis auf Freitag, als Provokatio­nen die Lage eskalieren ließen, wird in Rumänien friedlich demonstrie­rt
Bis auf Freitag, als Provokatio­nen die Lage eskalieren ließen, wird in Rumänien friedlich demonstrie­rt
 ??  ?? PSD-Chef Liviu Dragnea (57) ist der mächtigste Mann im Land
PSD-Chef Liviu Dragnea (57) ist der mächtigste Mann im Land
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Korruption­sjägerin Laura Kövesi (45) musste abtreten

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