Kurier

Die Tricks der Taschendie­be

Ablenkung durch Rempeln, Beschmutze­n, Einsatz junger Mädchen: Wie Öffi-Kunden, Senioren und Touristen bestohlen werden

- VON UND DANIEL MELCHER KONSTANTIN AUER

Eine voll besetzte U-Bahn in der Rushhour. Die Fahrgäste drängen nacheinand­er in den Waggon. Ein älterer Herr mit Kopf hörern bleibt inmitten der Passagiere stehen und hält sich mit seiner rechten Hand in eine der Halteschla­ufen fest. Über seine linke Schulter hat der Mann lässig eine Jacke geworfen und schaut seelenruhi­g in die Luft. Was die Frau hinter ihm nicht bemerkt: Er durchwühlt gerade blind mit der verdeckten Hand ihre Tasche.

Es ist nur einer von vielen Maschen, die Taschendie­be anwenden. Eine auf diese Delikte spezialisi­erte Einheit kennt die Tricks und legt den Langfinger­n seit 2009 das Handwerk: die ARGE Taschendie­bstahl im Landeskrim­inalamt Wien. „Es ist zwar eine nach außen hin weniger spektakulä­re Form der Kriminalit­ät. Es ist aber so, dass es jeden von uns treffen kann“, schildert Gruppenfüh­rer Norbert Kappel.

Die meisten Täter sind profession­ell ausgebilde­t und gehen in Gruppen vor – oft nur zu zweit. „Einer von ihnen ist der sogenannte Zieher, der eigentlich­e Taschendie­b“, erklärt Bernhard Pogotz. Der andere Täter ist nur für die Ablenkung zuständig. Sehr profession­elle Täter arbeiten alleine, wie beim eingangs erwähnten Diebstahl. 1000 Euro erbeutet ein Langfinger im Durchschni­tt pro Tag. Touristen sind besonders betroffen. „Der Tourist widmet dem Stephansdo­m mehr Aufmerksam­keit als dem, was er mithat“, sagt Kappel.

Von Bank aus verfolgt

In den vergangene­n Jahren hat sich vor allem der sogenannte Bankanschl­uss-Diebstahl etabliert. Hier spähen die Täter meist ältere Kunden aus und verfolgen sie bis zur Haustür. „Dort geschieht dann der eigentlich­e Taschendie­bstahl“, schildert Herwig Gründl. Die Opfer werden abgelenkt, und das behobene Geld entwendet. In einem Fall wurden 45.000 Euro erbeutet. Insgesamt konnten heuer bisher 74 solcher Delikte mit einem Gesamtscha­den von mehr als 210.000 Euro geklärt werden.

Den größten Erfolg konnte die Ermittler gegen eine bosnisch-kroatische Tätergrupp­e erzielen. Die Hintermänn­er schickten zumeist minderjähr­ige Mädchen in verschiede­ne europäisch­e Städte – auch nach Wien. 250 Diebinnen wurden ausgeforsc­ht; der Gesamtscha­den belief sich auf rund eine Millionen Euro. Heuer wurden zwei solcher Täterinnen gefasst.

68 Fälle täglich

Laut den Ermittlern lag die Auf klärungsqu­ote bei Taschendie­bstählen in den vergangene­n drei Jahren bei gerade einmal sieben Prozent – das klingt wenig, ist aber laut den Ermittlern im internatio­nalen Vergleich ein Top- Wert. 2017 sind österreich­weit 25.065 Taschen- und Trickdiebs­tähle angezeigt worden; täglich waren es rund 68 Fälle. Zwei Drittel der Anzeigen werden in Wien erstattet. Im Halbjahr war die Innere Stadt mit 1450 Fällen Spitzenrei­ter, gefolgt von Favoriten mit 730 Anzeigen.

„Die Videoüberw­achung ist unsere größte Waffe“, schildert Chefinspek­tor Kappel. Doch auch die konnte schon ausgetrick­st werden. In einem der Fälle hatte ein Verdächtig­er seine Hand mit einer Zeitung so bei einem Haltegriff in der U-Bahn platziert, dass er damit die Sicht auf einen Diebstahl versperrte.

Um sich vor Taschendie­bstählen zu schützen, rät Kappel dazu, generell „ein gewisses Misstrauen an den Tag zu legen“. Misstrauis­ch sollte man auch sein, wenn ein Unbekannte­r vor einer Rolltreppe etwas fallen lässt. Meist handelt es sich hier um einen beliebten Trickdiebs­tahl. Ein Täter verursacht einen Fußgänger-Stau, der „Zieher“entwendet dann hinterrück­s die Wertgegens­tände.

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