Havannas „freie Debatte“startet mit Verhaftung
Neue Verfassung. Kuba will für Zukunft planen
Keine Angst mehr vor Wohlstand, aber vor der Opposition: Am Montag begann auf Kuba die „freie und öffentliche Debatte“über die anstehende Verfassungsreform. Jeder Bürger, so versicherte es die alleinregierende und allein zugelassene kommunistische Partei, darf seine Meinung frei und öffentlich vortragen. Die Verfassungsreform soll das Land verändern, so versprechen es die Macher. Treibende Kraft hinter dem Entwurf, der vom Parlament, wie auf Kuba üblich, einstimmig angenommen wurde, war Ex-Staats- und Regierungschef Raul Castro.
Laut Angaben von Staatschef Miguel Díaz-Canel soll die Bürgerbeteiligung bis Mitte November in öffentlichen Foren erfolgen, im Anschluss soll in einem Referendum über die neue Verfassung entschieden werden. Es gibt einige interessante Änderungen in dem Entwurf: So wird der Weg für die Homo-Ehe praktisch frei gemacht. In den ersten Jahrzehnten hat das Castro-Regime Homosexuelle noch in Umerziehungslager gesteckt, um sie von ihrer „Krankheit“zu heilen. Politisch aufgearbeitet wurden diese schweren Menschenrechtsverletzungen nie, immerhin entschuldigte sich Castro einmal dafür.
„Kommunistisch“fehlt
Auch wurde das Wort „kommunistisch“gestrichen, stattdessen strebt das Land nun danach, „souverän, wohlhabend und sozialistisch“zu werden. Zudem wird Privatbesitz legitimiert, die vorsichtigen marktwirtschaftlichen Initiativen werden damit aufgewertet. Auslandsinvestitionen sollen gestärkt werden. Auf Kuba soll unter anderem in Kürze ein Luxusgolfresort entstehen, dass mit ausländischen Investitionen gebaut werden soll.
Es sind allerdings vor allem handwerkliche, organisatorische Veränderungen, die diese Verfassungsreform kennzeichnen. Zur innenpolitischen Öffnung, gar zu einem Wettbewerb mit anderen Parteien kommt es nicht. Kubas Opposition bleibt weiterhin il- legal, wer zur Zivilgesellschaft gehört, bestimmt nicht sie, sondern der Staat.
Kritiker verhaftet
Wenige Tage vor dem Start der „offenen und freien“Meinungsäußerung wurde Regimekritiker Jose Daniel Ferrer Garcia, der Chef der offiziell nicht zugelassenen Oppositionspartei „Patriotische Union Kubas“(UNPACU), nach einem Verkehrsunfall verhaftet. Laut deren Angaben soll ein Mitglied des kubanischen Geheimdienstes in den Unfall verwickelt gewesen sein, dem Ferrer Garcia anschließend einen Attentatsversuch vorwarf. Inzwischen wirft die Justiz Ferrer vor, versucht zu haben, den Agenten zu überfahren. Ihm drohen laut UNPACU-Vertretern nun 20 Jahre Haft. Die Familie beklagt, sie habe keinen Kontakt mehr zu ihm.
Demos verhindert
Ferrer Garcia gehört zu den prominentesten Vertretern der kubanischen Opposition, die mit dem Projekt „Cuba Decide“(Kuba entscheide) freie Wahlen fordert. Auch die von der EU mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnete Bürgerrechtsorganisation „Frauen in Weiß“wird seit 153 Sonntagen in Folge an ihren friedlichen Demonstrationen gehindert. Das steht im krassen Widerspruch zur versprochenen „freien Meinungsäußerung“.
Der Unfall Ferrers weckt Erinnerungen an einen anderen mysteriösen Fall. Vor sechs Jahren starb der prominente Bürgerrechtler Oswaldo Paya bei einem Verkehrsunfall. Während die Behörden erklärten, der Wagen sei zur Unfallzeit mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen, behaupten Familienangehörige des Gründungsmitglieds der Christlichen Befreiungsbewegung (MCL) bis heute, ein zweiter von Geheimdienstlern gesteuerter Wagen habe das Auto Payas von der Straße abgedrängt und den Regimekritiker damit gezielt getötet. Auch im neuen Kuba scheint Autofahren für Dissidenten extrem gefährlich.