Gespräche im Sommer
Interviews mit B. Hartinger-Klein und J. Mikl-Leitner
KURIER: Kaum haben Sie die Reformpläne für die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt präsentiert, kommt täglich neue Kritik von allen Seiten. Was sagen Sie zur Kritik der Gewerkschaft, dass durch die österreichweite Betriebs GmbH der erste Schritt zur Privatisierung der Unfallspitäler gesetzt wird?
Beate Hartinger-Klein: Es ist sinnvoll, KrankenhäuseruntereinemDachzu organisieren. Viele Krankenhausträger in der Steiermark oder Oberösterreich zeigen das bereits. Das heißt, Personalmanagement und Einkauf zusammenzufassen und nicht in jedem Land separat zu behandeln. Es wird keine Privatisierunggeben.
Die Gewerkschaft befürchtet, dass es durch die Betriebs GmbH zu schlechteren Kollektivverträgen kommt, ähnlich wie man sie aus Privatspitälern kennt.
Für die bestehenden Mitarbeiter bleibtallesbeimAlten. Fürdieneuen Mitarbeiter ist das neu zu entscheidenundeineFragederSelbstverwaltung.
Am 21. August wird der AUVA-Vorstand über die Reformen beraten. Sind Sie zu 100 Prozent sicher, dass Ihre Pläne umgesetzt werden?
Zu 100 Prozent sicher ist nie etwas. Ich bin überzeugt, dass es eine gemeinsameLösunggebenwird.
Es scheint, als seien die Einsparungen bei der AUVA – zunächst war die Rede von 500 Millionen Euro, jetzt sind es 430 Millionen Euro – der Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsreform.
Es geht immer um die ganze Reform. EswarvonAnfanganklar, dass es bei der Selbstverwaltung innerhalb der AUVA schwer werden wird. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass es richtig war, die AUVA erst medial unter Druck zu setzen, damit sich etwas bewegt. Und es bewegtsichviel. Dasfreutmich.
Geplant ist zudem eine Österreichische Gesundheitskasse statt neun Gebietskrankenkassen. Was ändert sich dadurch für den Versicherten?
Für die Versicherten ändert sich nichts. Jene, diediegleichenBeiträge zahlen, sollen auch die gleichen Leistungen bekommen. Egal ob bei der Burgenländischen, Wiener oder TirolerKassa. EinenGyn-Ultraschallsollte beispielsweise jede Frau bekommen. Wir müssen in der Debatte unterscheiden: Einerseits die medizinischen Leistungen für die Patienten, andererseits die Tarife für die Ärzte. WasderArztbekommt, daskanndem Patientendefactoegalsein.
Wenn der Arzt zu wenig bekommt, geht er aber vielleicht ins Ausland anstatt in Österreich zu operieren oder zu ordinieren?
Genau deshalb ist esmireingroßesAnliegen, dass die niedergelassenen Ärzte wieder mehr auf Qualität setzen und nicht aus wirtschaftlichen Gründen auf Quantität setzen müssen. Sie wissen, dass wir nicht nur auf dem Land, sondern auchineinzelnenStädten ein Problem haben, niedergelassene Ärzte, insbesondere Allgemeinmediziner, zu finden. Hier müssen wir neueAnreizeschaffen. Welche Anreize kann die Politik schaffen, um Mediziner in Österreich zu halten?
Gemeinsam mit Wissenschaftsminister Heinz Faßmann und den Rektoren der Med-Unis haben wir darüber beraten, inwieweit man bereits im Studium auf die diversen Arbeitsmöglichkeiten hinweisen kann. Es gibt auch in anderen Studien und Berufen Jobmessen – warumnichtauchinderMedizin? Dort könnten sich beispielsweise auch Gemeinden präsentieren, um dem Problem der fehlenden Landärzte beizukommen, denn natürlich müssen die Arbeitsorte für junge Menschen attraktiv sein. Es geht um die Generation Y: Die will mehr Freizeit haben; die will arbeiten, aber nicht alleine irgendwo sitzen und Entscheidungen treffen, sondern in Netzwerken – unter anderem in Primary-Health-Care-Zentren. Derzeit haben wir österreichweit 16 Primärversorgungszentren, bis 2020 sollen es75sein.
Nicht nur die Ärzte, auch die Patienten haben sich, so scheint es, geändert. Ein ewig währendes Thema sind die überfüllten Ambulanzen. Die Menschen wissen scheinbar nicht mehr, wo sie in welchem Fall hingehen sollen.
Dasistrichtig. DieSteuerungder PatientenisteinThema. Esgibtdabei mehrere Maßnahmen, die wir bereitsgesetzthaben. InderGynäkologiebeispielsweisehabenwirdieLeistungenaufdenAmbulanzenzurückgefahren, gleichzeitig neue Kassenstellen geschaffen. In drei Bundesländern haben wir eine Triagierung (medizinische Ersteinschätzung) eingeführt. Das heißt, eine Gesundheitshotline eingeführt.
Was soll diese Hotline bewirken?
Dass sich Patienten und Patientinnen vorab informieren können, ob sie zum niedergelassenen Arzt, zum Facharzt oder auf die Ambulanz gehen sollten. In Niederösterreich, wo das Angebot sehr gut angenommen wird, evaluierenwirgerade. Ist es auch denkbar, statt der Gesundheitshotline wieder die Ambulanzgebühren einzuführen?
Das Thema Ambulanzgebühr möchte ich nicht mehr ins Treffen führen. Das Gesundheitstelefon ist eine mögliche Variante, um Patientenzusteuern.
Im Zuge der Gesundheitsreform ist fortwährend von Effizienz und Einsparungspotenzialen die Rede. 2017 wurde die Chefarzt-Pflicht für MRT- und CT-Untersuchungen wiedereingeführt. Als Patient bekommt man eine Überweisung und braucht einen Stempel von einem Chefarzt, der einen selbst nie gesehen hat ...
... und auch nicht das nötige Fachwissen hat. Im Regierungsprogramm steht, dass die ChefarztPflichtüberprüftwerdensoll. Ineineinhalb Jahren soll die Evaluierung abgeschlossen sein. Jetzt hat die SozialversicherungsreformPriorität.
Apropos Prioritäten: Sie haben zehn Sektionschefs, machen die Arbeit von vormals zwei Ministern, haben weit über 40 Milliarden Euro zu verwalten und das Gros der Reformen der Regierung umzusetzen: Wie setzen Sie Ihre Prioritäten?
IchhabeeineSektionimGesundheitsbereichper1. Septembereingespart, also nur mehr neun Sektionschefs. (lacht) Mit einem guten Team funktioniert das. Es ist herausfordernd, aberesfunktioniert.
Sie sind als Arbeits- und Sozialministerin auch für das Arbeitslosengeld und die Mindestsicherung Neu zuständig. Bereuen Sie es, gesagt zu haben, dass man als Asylberechtigter mit 150 Euro pro Monat auskommt, wenn Kost und Logis gestellt werden?
Es ist der Regierung und mir wichtig, keine Anreize zu schaffen, in unser Sozialsystem einzuwandern– imspeziellenAsylwerbern. So ist die ganze Diskussion entstanden. Der zweite Punkt ist: Wir wollen,
dass jene, die in das System eingezahlt haben, auch ihre Leistungen bekommen. Jeder dieser Einzahler soll garantiert bekommen, dass er vom sozialen Netz aufgefangen wird, wenn er aus gesundheitlichen oderanderenGründennichtmehrin der Lage ist, zu arbeiten. Um eine nachhaltige Finanzierung des Sozialsystems zu gewährleisten, müssen wir allerdings Maßnahmen setzen. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung beschlossen, das ArbeitslosengeldNeuzuschaffen.
Das heißt?
Das heißt, dass jene, die lange eingezahlt haben, auch länger anspruchsberechtigt sind als andere, die nicht eingezahlt haben. Man muss in der Diskussion unterscheiden zwischen Arbeitslosengeld, also einer Versicherungsleistung, und der Mindestsicherung, die eine Sozialleistungdarstellt. ImHerbstwerde ich einen entsprechenden Gesetzesentwurfvorlegen.
Warum die Eile, fragen sich manche. Österreich geht es wirtschaftlich gut, die Arbeitslosenzahlen gehen zurück. Lieber eine wasserdichte Arbeitslosengeld-Reform als ein Vorhaben mit lauter Fragezeichen. Ist es auch möglich, dass die Reform erst im Jänner steht?
Daskannpassieren, aberwirsind bereits jetzt am Durchrechnen. In welcher Form die Notstandshilfe im Arbeitslosengeld Neu aufgeht, das wird gerade evaluiert. Ich habe von vornhereingewusst, dassdasThema ein sensibles ist. Und ich habe von vornhereingesagt: HartzIVinÖsterreichgibtesmitmirnicht.
Die gute Konjunktur und auch der Fachkräftemangel bringen mit sich, dass viele Unternehmen nach Mitarbeitern suchen. Es gibt das prototypische Beispiel des arbeitslosen Kochs in Wien, der im westösterreichischen Tourismusgebiet verzweifelt gesucht wird. Wie kann man diesem Problem beikommen?
DasistkeineleichteAufgabe. Wir müssendieMobilitätfördern, dasist klar. Gleichzeitig gibt es ArbeitssuchendemitKindernoderzupflegendenPersonen, dieschwerzumotivieren sein werden, der Arbeit wegen umzuziehen. Gleichzeitig haben wir immernoch32.000Asylberechtigte, diearbeitslossind, undeinErntehelferproblem. DerzeitmüssenwirErntehelfer aus Drittstaaten hinzuziehen, weil Asylberechtigte schwer miteinzubeziehensind.
Worin genau liegt die Schwierigkeit, Asylberechtigte miteinzubeziehen?
Wir habenbeispielsweise gerade einProblemmitdenBorkenkäfernin unseren Wäldern und fehlende Erntehelfer. Wenn Sie mit dem AMS sprechen, dannwerdenSieerfahren, dass es schwer ist, Asylberechtigte für die Arbeit in der Landwirtschaft zu gewinnen. In solchen Fällen werdenwirdieReduktion desArbeitslosengeldes durchsetzen müssen, um für die Betroffenen einen Anreiz zu schaffen, arbeiten zu gehen. Wir brauchen 1000 Erntehelfer in der Landwirtschaft und haben 32.000 arbeitslose Asylberechtigte. Da stimmtetwasnichtimSystem, oder?
Sie meinen, Österreich ist ein Wohlfahrtsstaat, der ausgenutzt wird?
Das könnte man so interpretieren. Jedenfalls haben wir scheinbar nicht genug Möglichkeiten oder nicht genug Druck ausgeübt, dass dieMenschenaucheinenJobannehmen.
Druck wird auch auf Sie ausgeübt, egal ob bei AUVA oder Arbeitslosengeld seitens der Opposition und auch der Medien. Haben Sie je überlegt, hinzuschmeißen? Sie müssen eine ...
... eine besondere Leidensfähigkeithaben, meinenSie?
... einen besonderen Umgang mit Kritikern pflegen.
Ichfindeesschön, wasichfürdie Menschen tun kann. Die Aufgabe ist eine große Herausforderung, aber ich sage immer: Steter Tropfen höhlt den Stein. Und: Man muss Befindlichkeiten hintanstellen. Es geht um dieSache. IchbineinestarkePersönlichkeitundhaltedasaus.
Auch, dass Ihnen nachgesagt wird, dass Sie sich jetzt an der AUVA rächen, weil Sie dereinst Geschäftsführerin werden wollten?
Es geht nicht um persönliche Dinge. Es geht um eine enorme Herausforderung als Ministerin für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Konsumentenschutz. Ich sage immer: Ich bin hart, aber herzlich. Ich bin von der Wiege bis zur Bahre für alles zuständig. JedeLebensphasebetrifft mein Ressort und das ist die große Herausforderung, dieichmeine.
Wann gehen Sie das Thema Pensionen an?
Demnächst. Damit meine ich aberdieErhöhungderPensionenfür 2019.
Nachgefragt
Wo verbringen Sie Ihre freien Tage im Sommer?
Ich werde beim Forum Alpbach in Tirol sein. Und ich war ein paar Tageweg– imGrünen. Sonstwarich sehr mit meinem Ministerium beschäftigt. Welche Lektüre nehmen Sie in den Urlaub mit?
Zum Literaturlesen komme ich derzeit leider nicht.
Mehr Aktenstudium?
Dasklingtsotrocken. Ichleseauf dem Ipad oder Computer. WasistIhrbevorzugterSommer-Drink?
Leitungswasser mit Zitronensaft.
Schreiben Sie aus dem Urlaub Kurznachrichten oder Postkarten?
Kurznachrichten.