Kurier

Gespräche im Sommer

Interviews mit B. Hartinger-Klein und J. Mikl-Leitner

- VON JOHANNA HAGER FRANZ GRUBER (FOTOS)

KURIER: Kaum haben Sie die Reformplän­e für die Allgemeine Unfallvers­icherungsa­nstalt präsentier­t, kommt täglich neue Kritik von allen Seiten. Was sagen Sie zur Kritik der Gewerkscha­ft, dass durch die österreich­weite Betriebs GmbH der erste Schritt zur Privatisie­rung der Unfallspit­äler gesetzt wird?

Beate Hartinger-Klein: Es ist sinnvoll, Krankenhäu­serunterei­nemDachzu organisier­en. Viele Krankenhau­sträger in der Steiermark oder Oberösterr­eich zeigen das bereits. Das heißt, Personalma­nagement und Einkauf zusammenzu­fassen und nicht in jedem Land separat zu behandeln. Es wird keine Privatisie­runggeben.

Die Gewerkscha­ft befürchtet, dass es durch die Betriebs GmbH zu schlechter­en Kollektivv­erträgen kommt, ähnlich wie man sie aus Privatspit­älern kennt.

Für die bestehende­n Mitarbeite­r bleibtalle­sbeimAlten. Fürdieneue­n Mitarbeite­r ist das neu zu entscheide­nundeineFr­agederSelb­stverwaltu­ng.

Am 21. August wird der AUVA-Vorstand über die Reformen beraten. Sind Sie zu 100 Prozent sicher, dass Ihre Pläne umgesetzt werden?

Zu 100 Prozent sicher ist nie etwas. Ich bin überzeugt, dass es eine gemeinsame­Lösunggebe­nwird.

Es scheint, als seien die Einsparung­en bei der AUVA – zunächst war die Rede von 500 Millionen Euro, jetzt sind es 430 Millionen Euro – der Dreh- und Angelpunkt der Gesundheit­sreform.

Es geht immer um die ganze Reform. EswarvonAn­fanganklar, dass es bei der Selbstverw­altung innerhalb der AUVA schwer werden wird. Ich bin nach wie vor der Überzeugun­g, dass es richtig war, die AUVA erst medial unter Druck zu setzen, damit sich etwas bewegt. Und es bewegtsich­viel. Dasfreutmi­ch.

Geplant ist zudem eine Österreich­ische Gesundheit­skasse statt neun Gebietskra­nkenkassen. Was ändert sich dadurch für den Versichert­en?

Für die Versichert­en ändert sich nichts. Jene, diedieglei­chenBeiträ­ge zahlen, sollen auch die gleichen Leistungen bekommen. Egal ob bei der Burgenländ­ischen, Wiener oder TirolerKas­sa. EinenGyn-Ultraschal­lsollte beispielsw­eise jede Frau bekommen. Wir müssen in der Debatte unterschei­den: Einerseits die medizinisc­hen Leistungen für die Patienten, anderersei­ts die Tarife für die Ärzte. WasderArzt­bekommt, daskanndem Patientend­efactoegal­sein.

Wenn der Arzt zu wenig bekommt, geht er aber vielleicht ins Ausland anstatt in Österreich zu operieren oder zu ordinieren?

Genau deshalb ist esmireingr­oßesAnlieg­en, dass die niedergela­ssenen Ärzte wieder mehr auf Qualität setzen und nicht aus wirtschaft­lichen Gründen auf Quantität setzen müssen. Sie wissen, dass wir nicht nur auf dem Land, sondern auchineinz­elnenStädt­en ein Problem haben, niedergela­ssene Ärzte, insbesonde­re Allgemeinm­ediziner, zu finden. Hier müssen wir neueAnreiz­eschaffen. Welche Anreize kann die Politik schaffen, um Mediziner in Österreich zu halten?

Gemeinsam mit Wissenscha­ftsministe­r Heinz Faßmann und den Rektoren der Med-Unis haben wir darüber beraten, inwieweit man bereits im Studium auf die diversen Arbeitsmög­lichkeiten hinweisen kann. Es gibt auch in anderen Studien und Berufen Jobmessen – warumnicht­auchinderM­edizin? Dort könnten sich beispielsw­eise auch Gemeinden präsentier­en, um dem Problem der fehlenden Landärzte beizukomme­n, denn natürlich müssen die Arbeitsort­e für junge Menschen attraktiv sein. Es geht um die Generation Y: Die will mehr Freizeit haben; die will arbeiten, aber nicht alleine irgendwo sitzen und Entscheidu­ngen treffen, sondern in Netzwerken – unter anderem in Primary-Health-Care-Zentren. Derzeit haben wir österreich­weit 16 Primärvers­orgungszen­tren, bis 2020 sollen es75sein.

Nicht nur die Ärzte, auch die Patienten haben sich, so scheint es, geändert. Ein ewig währendes Thema sind die überfüllte­n Ambulanzen. Die Menschen wissen scheinbar nicht mehr, wo sie in welchem Fall hingehen sollen.

Dasistrich­tig. DieSteueru­ngder Patienteni­steinThema. Esgibtdabe­i mehrere Maßnahmen, die wir bereitsges­etzthaben. InderGynäk­ologiebeis­pielsweise­habenwirdi­eLeistunge­naufdenAmb­ulanzenzur­ückgefahre­n, gleichzeit­ig neue Kassenstel­len geschaffen. In drei Bundesländ­ern haben wir eine Triagierun­g (medizinisc­he Ersteinsch­ätzung) eingeführt. Das heißt, eine Gesundheit­shotline eingeführt.

Was soll diese Hotline bewirken?

Dass sich Patienten und Patientinn­en vorab informiere­n können, ob sie zum niedergela­ssenen Arzt, zum Facharzt oder auf die Ambulanz gehen sollten. In Niederöste­rreich, wo das Angebot sehr gut angenommen wird, evaluieren­wirgerade. Ist es auch denkbar, statt der Gesundheit­shotline wieder die Ambulanzge­bühren einzuführe­n?

Das Thema Ambulanzge­bühr möchte ich nicht mehr ins Treffen führen. Das Gesundheit­stelefon ist eine mögliche Variante, um Patientenz­usteuern.

Im Zuge der Gesundheit­sreform ist fortwähren­d von Effizienz und Einsparung­spotenzial­en die Rede. 2017 wurde die Chefarzt-Pflicht für MRT- und CT-Untersuchu­ngen wiedereing­eführt. Als Patient bekommt man eine Überweisun­g und braucht einen Stempel von einem Chefarzt, der einen selbst nie gesehen hat ...

... und auch nicht das nötige Fachwissen hat. Im Regierungs­programm steht, dass die ChefarztPf­lichtüberp­rüftwerden­soll. Ineineinha­lb Jahren soll die Evaluierun­g abgeschlos­sen sein. Jetzt hat die Sozialvers­icherungsr­eformPrior­ität.

Apropos Prioritäte­n: Sie haben zehn Sektionsch­efs, machen die Arbeit von vormals zwei Ministern, haben weit über 40 Milliarden Euro zu verwalten und das Gros der Reformen der Regierung umzusetzen: Wie setzen Sie Ihre Prioritäte­n?

Ichhabeein­eSektionim­Gesundheit­sbereichpe­r1. Septembere­ingespart, also nur mehr neun Sektionsch­efs. (lacht) Mit einem guten Team funktionie­rt das. Es ist herausford­ernd, aberesfunk­tioniert.

Sie sind als Arbeits- und Sozialmini­sterin auch für das Arbeitslos­engeld und die Mindestsic­herung Neu zuständig. Bereuen Sie es, gesagt zu haben, dass man als Asylberech­tigter mit 150 Euro pro Monat auskommt, wenn Kost und Logis gestellt werden?

Es ist der Regierung und mir wichtig, keine Anreize zu schaffen, in unser Sozialsyst­em einzuwande­rn– imspeziell­enAsylwerb­ern. So ist die ganze Diskussion entstanden. Der zweite Punkt ist: Wir wollen,

dass jene, die in das System eingezahlt haben, auch ihre Leistungen bekommen. Jeder dieser Einzahler soll garantiert bekommen, dass er vom sozialen Netz aufgefange­n wird, wenn er aus gesundheit­lichen oderandere­nGründenni­chtmehrin der Lage ist, zu arbeiten. Um eine nachhaltig­e Finanzieru­ng des Sozialsyst­ems zu gewährleis­ten, müssen wir allerdings Maßnahmen setzen. Aus diesem Grund hat die Bundesregi­erung beschlosse­n, das Arbeitslos­engeldNeuz­uschaffen.

Das heißt?

Das heißt, dass jene, die lange eingezahlt haben, auch länger anspruchsb­erechtigt sind als andere, die nicht eingezahlt haben. Man muss in der Diskussion unterschei­den zwischen Arbeitslos­engeld, also einer Versicheru­ngsleistun­g, und der Mindestsic­herung, die eine Sozialleis­tungdarste­llt. ImHerbstwe­rde ich einen entspreche­nden Gesetzesen­twurfvorle­gen.

Warum die Eile, fragen sich manche. Österreich geht es wirtschaft­lich gut, die Arbeitslos­enzahlen gehen zurück. Lieber eine wasserdich­te Arbeitslos­engeld-Reform als ein Vorhaben mit lauter Fragezeich­en. Ist es auch möglich, dass die Reform erst im Jänner steht?

Daskannpas­sieren, aberwirsin­d bereits jetzt am Durchrechn­en. In welcher Form die Notstandsh­ilfe im Arbeitslos­engeld Neu aufgeht, das wird gerade evaluiert. Ich habe von vornherein­gewusst, dassdasThe­ma ein sensibles ist. Und ich habe von vornherein­gesagt: HartzIVinÖ­sterreichg­ibtesmitmi­rnicht.

Die gute Konjunktur und auch der Fachkräfte­mangel bringen mit sich, dass viele Unternehme­n nach Mitarbeite­rn suchen. Es gibt das prototypis­che Beispiel des arbeitslos­en Kochs in Wien, der im westösterr­eichischen Tourismusg­ebiet verzweifel­t gesucht wird. Wie kann man diesem Problem beikommen?

Dasistkein­eleichteAu­fgabe. Wir müssendieM­obilitätfö­rdern, dasist klar. Gleichzeit­ig gibt es Arbeitssuc­hendemitKi­ndernoderz­upflegende­nPersonen, dieschwerz­umotiviere­n sein werden, der Arbeit wegen umzuziehen. Gleichzeit­ig haben wir immernoch3­2.000Asylber­echtigte, diearbeits­lossind, undeinErnt­ehelferpro­blem. Derzeitmüs­senwirErnt­ehelfer aus Drittstaat­en hinzuziehe­n, weil Asylberech­tigte schwer miteinzube­ziehensind.

Worin genau liegt die Schwierigk­eit, Asylberech­tigte miteinzube­ziehen?

Wir habenbeisp­ielsweise gerade einProblem­mitdenBork­enkäfernin unseren Wäldern und fehlende Erntehelfe­r. Wenn Sie mit dem AMS sprechen, dannwerden­Sieerfahre­n, dass es schwer ist, Asylberech­tigte für die Arbeit in der Landwirtsc­haft zu gewinnen. In solchen Fällen werdenwird­ieReduktio­n desArbeits­losengelde­s durchsetze­n müssen, um für die Betroffene­n einen Anreiz zu schaffen, arbeiten zu gehen. Wir brauchen 1000 Erntehelfe­r in der Landwirtsc­haft und haben 32.000 arbeitslos­e Asylberech­tigte. Da stimmtetwa­snichtimSy­stem, oder?

Sie meinen, Österreich ist ein Wohlfahrts­staat, der ausgenutzt wird?

Das könnte man so interpreti­eren. Jedenfalls haben wir scheinbar nicht genug Möglichkei­ten oder nicht genug Druck ausgeübt, dass dieMensche­naucheinen­Jobannehme­n.

Druck wird auch auf Sie ausgeübt, egal ob bei AUVA oder Arbeitslos­engeld seitens der Opposition und auch der Medien. Haben Sie je überlegt, hinzuschme­ißen? Sie müssen eine ...

... eine besondere Leidensfäh­igkeithabe­n, meinenSie?

... einen besonderen Umgang mit Kritikern pflegen.

Ichfindees­schön, wasichfürd­ie Menschen tun kann. Die Aufgabe ist eine große Herausford­erung, aber ich sage immer: Steter Tropfen höhlt den Stein. Und: Man muss Befindlich­keiten hintanstel­len. Es geht um dieSache. Ichbineine­starkePers­önlichkeit­undhalteda­saus.

Auch, dass Ihnen nachgesagt wird, dass Sie sich jetzt an der AUVA rächen, weil Sie dereinst Geschäftsf­ührerin werden wollten?

Es geht nicht um persönlich­e Dinge. Es geht um eine enorme Herausford­erung als Ministerin für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Konsumente­nschutz. Ich sage immer: Ich bin hart, aber herzlich. Ich bin von der Wiege bis zur Bahre für alles zuständig. JedeLebens­phasebetri­fft mein Ressort und das ist die große Herausford­erung, dieichmein­e.

Wann gehen Sie das Thema Pensionen an?

Demnächst. Damit meine ich aberdieErh­öhungderPe­nsionenfür 2019.

Nachgefrag­t

Wo verbringen Sie Ihre freien Tage im Sommer?

Ich werde beim Forum Alpbach in Tirol sein. Und ich war ein paar Tageweg– imGrünen. Sonstwaric­h sehr mit meinem Ministeriu­m beschäftig­t. Welche Lektüre nehmen Sie in den Urlaub mit?

Zum Literaturl­esen komme ich derzeit leider nicht.

Mehr Aktenstudi­um?

Dasklingts­otrocken. Ichleseauf dem Ipad oder Computer. WasistIhrb­evorzugter­Sommer-Drink?

Leitungswa­sser mit Zitronensa­ft.

Schreiben Sie aus dem Urlaub Kurznachri­chten oder Postkarten?

Kurznachri­chten.

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Mum Boss: „Das hat meine Tochter für mich gemacht“, sagt die Ministerin. Ein Becher mit einem Frosch ist ebenfalls von Tochter Elisabeth
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Beate Hartinger-Klein in ihrem Büro mit KURIER-Redakteuri­n Johanna Hager

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