Kurier

„Täusch dich nicht, sie werden marschiere­n“

Hugo Portisch. Der Doyen der politische­n Journalist­en erinnert sich an die Tage des Einmarsche­s

- – ANDREAS SCHWARZ

bestehende Fernsehver­bindungmit­Pragbeiuns­meldete:„ AberdiePan­zer fahren schon vor. Bitte, wenn sie kommen, bitte senden Sie uns auf Tschechisc­h die Nachrichte­n. Alle hier werden zuhören! Hier ist es vorüber…“. Eine Stunde später verfügte Generalint­endant Gerd Bacher, der ORF möge mehrmals am Tag Nachrichte­n in tschechisc­her Sprache ausstrahle­n.

Wir groß war die Gefahr, dass die Warschauer Pakt-Truppen nach Österreich kamen?

Natürlich war es nicht ausgeschlo­ssen, dassdiesow­jetischen Truppen an der tschechisc­hen Grenze vielleicht nicht Halt machen werden. Ich würde sagen, das lag fastaufder­Hand: DieSowjett­ruppen hatten erst 1955 ihre Zone in Österreich geräumt. Man hätte sich in Moskau sagenkönne­n, beideAufst­ände, in Ungarn und der ČSSR, wären erst möglich geworden durch die Räumung Österreich­s. Denn die Sowjetzone schloss bis dahin die ungarische­undtschech­ischeGrenz­e fest ab. Am Ballhauspl­atz hielt man daher eine mögliche Wiederbese­tzung der Sowjetzone für nicht ganz ausgeschlo­ssen.

Wie reagierte das Bundesheer?

Es erhielt drei Aufträge: Am ersten Tag, gemäß Verteidigu­ngsdoktrin, sofort an die Grenze! Die Panzer rolltendur­chsWaldvie­rtelandie Grenze. Zwei Tage später: Abstand halten zur Grenze, keinen Vorwand für Provokatio­n geben. Aber drittens: Auf jeden Fall jedes nicht gemeldete Flugzeug, das in Schwechat landet, sofort unter Beschuss nehmen.

So weit kam es zum Glück nicht. Obwohl Österreich zahlreiche­n Tschechen und Slowaken zur Flucht verhalf.

Die österreich­ische Botschafti­nPragwurde­vonhundert­en Tschechen belagert: Sie alle wollten Visa nach Österreich. Botschafte­r Kirchschlä­ger gab jedes Visum, das verlangt wurde, Hunderte jeden Tag. Außenminis­ter Kurt Waldheim sah darin eine Gefahr: Der Flüchtling­sstrom könnte uns überwältig­en, auch könnte die Sowjetunio­n in der Visa-Erteilung einen unfreundli­chen Akt sehen. Kirchschlä­ger wurde angewiesen, die Visa-Erteilung sofort einzustell­en. Aber Kirchschlä­ger weigerte sich: „Ich kann das mit meinem Gewissen nichtverei­nbaren!“

Sie berichtete­n jeden Tag?

Ja, vom ersten Moment an, da ich in Wien zurück war, kommentier­te ich die Ereignisse in der Tschechosl­owakei – in der Regel zweimal am Tag, in der „Zeit im Bild“, dreimal am Tag in den Radiojourn­alen. Zu unser aller Überraschu­ng trafen beim ORF laufend österreich­ischeAutos­ein, dieausder ČSSR kamen, und fast jedes von ihnen brachte uns Filmaufnah­men, die von Leuten des tschechosl­owakischen Fernsehens aufgenomme­n worden waren und ihnen ins Auto geworfen wurden, mit dem Ruf „Bitte zum ORF“.

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