„Täusch dich nicht, sie werden marschieren“
Hugo Portisch. Der Doyen der politischen Journalisten erinnert sich an die Tage des Einmarsches
bestehende FernsehverbindungmitPragbeiunsmeldete:„ AberdiePanzer fahren schon vor. Bitte, wenn sie kommen, bitte senden Sie uns auf Tschechisch die Nachrichten. Alle hier werden zuhören! Hier ist es vorüber…“. Eine Stunde später verfügte Generalintendant Gerd Bacher, der ORF möge mehrmals am Tag Nachrichten in tschechischer Sprache ausstrahlen.
Wir groß war die Gefahr, dass die Warschauer Pakt-Truppen nach Österreich kamen?
Natürlich war es nicht ausgeschlossen, dassdiesowjetischen Truppen an der tschechischen Grenze vielleicht nicht Halt machen werden. Ich würde sagen, das lag fastaufderHand: DieSowjettruppen hatten erst 1955 ihre Zone in Österreich geräumt. Man hätte sich in Moskau sagenkönnen, beideAufstände, in Ungarn und der ČSSR, wären erst möglich geworden durch die Räumung Österreichs. Denn die Sowjetzone schloss bis dahin die ungarischeundtschechischeGrenze fest ab. Am Ballhausplatz hielt man daher eine mögliche Wiederbesetzung der Sowjetzone für nicht ganz ausgeschlossen.
Wie reagierte das Bundesheer?
Es erhielt drei Aufträge: Am ersten Tag, gemäß Verteidigungsdoktrin, sofort an die Grenze! Die Panzer rolltendurchsWaldviertelandie Grenze. Zwei Tage später: Abstand halten zur Grenze, keinen Vorwand für Provokation geben. Aber drittens: Auf jeden Fall jedes nicht gemeldete Flugzeug, das in Schwechat landet, sofort unter Beschuss nehmen.
So weit kam es zum Glück nicht. Obwohl Österreich zahlreichen Tschechen und Slowaken zur Flucht verhalf.
Die österreichische BotschaftinPragwurdevonhunderten Tschechen belagert: Sie alle wollten Visa nach Österreich. Botschafter Kirchschläger gab jedes Visum, das verlangt wurde, Hunderte jeden Tag. Außenminister Kurt Waldheim sah darin eine Gefahr: Der Flüchtlingsstrom könnte uns überwältigen, auch könnte die Sowjetunion in der Visa-Erteilung einen unfreundlichen Akt sehen. Kirchschläger wurde angewiesen, die Visa-Erteilung sofort einzustellen. Aber Kirchschläger weigerte sich: „Ich kann das mit meinem Gewissen nichtvereinbaren!“
Sie berichteten jeden Tag?
Ja, vom ersten Moment an, da ich in Wien zurück war, kommentierte ich die Ereignisse in der Tschechoslowakei – in der Regel zweimal am Tag, in der „Zeit im Bild“, dreimal am Tag in den Radiojournalen. Zu unser aller Überraschung trafen beim ORF laufend österreichischeAutosein, dieausder ČSSR kamen, und fast jedes von ihnen brachte uns Filmaufnahmen, die von Leuten des tschechoslowakischen Fernsehens aufgenommen worden waren und ihnen ins Auto geworfen wurden, mit dem Ruf „Bitte zum ORF“.