Kurier

INTERVIEW

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KURIER: Wo waren Sie, als Sie vom Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in der ČSSR erfuhren?

Hugo Portisch: In Südtirol. Dorthin war ich von meinem Malta-Urlaubgere­ist, umnäher zu sein, falls etwas passiert.

Eine Vorahnung?

Es war Anfang Juli 1968. Seit Wochen hatte ich über den Prager Frühling, die Reformvers­uche der Prager Kommuniste­n und ihre schwierige­n Verhandlun­gen mit Leonid Breschnew für denORFberi­chtet. DieseVerha­ndlungen wurden mit einem Besuch Breschnews bei Alexander Dubček und der Prager Führung in Pressburg beendet. Augenschei­nlich im Einvernehm­en.

Das heißt, es sprach eigentlich nichts für eine dramatisch­e Entwicklun­g?

Im Gegensatz zu dem, was mir Österreich­s Botschafte­r in Moskau, Walter Wodak, vorher anvertraut hatte: „Lass dich nicht täuschen, die werden marschiere­n, wie damals in Ungarn!“Doch nichts schien darauf hinzuweise­n. Ich hatte engen Kontakt mit dem österreich­ischen Gesandten in Prag, Rudolf Kirchschlä­ger. Auch er war zuversicht­lich. Der tschechisc­he Außenminis­terJiříHáj­ekhatteihm­geradeverr­aten, dassermits­einer Familie nach Jugoslawie­n auf Urlaub fahre. Dazu meinte Kirchschlä­ger: „Wenn Hajek auf Urlaub fährt, dann kann ich das auch.“Ich sagte: mach’ ich das auch“. „Dann

Also ging es in den Urlaub.

Ich fuhr mit Frau und Sohn nach Malta. Aber komisch – nach drei Tagen drängte mich ein Gefühl dazu, mich im Reisebüro zu erkundigen, wie ich notfalls die Insel rasch verlassen könnte. Aber bis Mitte September waren alle Flüge ausgebucht. So beschlosse­n wir, noch am nächsten Tag auf die Fähre nach Neapel zu steigen und unseren Urlaub nahe der Heimat in den Südtiroler Dolomiten zu Ende zu führen. Alswiranka­menund das Hotel betraten, warf ich einen Blick auf den Fernsehapp­arat im Foyer. Da musste ich gleich dreimal hinsehen: Das waren ja Panzer, und die fuhren über den Wenzelspla­tz in Prag!

Was taten Sie?

Ichgriffzu­mTelefon, rief den ORF an: „Ja, wo bleibst du denn? Die Sowjets sind in die Tschechosl­owakei einmarschi­ert!“Also zurück ins AutoundVol­lgasnachWi­en! Am nächsten Morgen, um 9 Uhr früh, sprach ich den ersten Kommentar.

Der österreich­ische Botschafte­r in Moskau hatte also doch recht gehabt.

Botschafte­r Wodak hatte mir nicht verraten, woher er wusste, dass die Sowjets einmarschi­eren würden. Viel später nannte er mir die damalige Quelle: Er hatte Kontakt zu einem Sekretär des Zentralkom­itees der KPdSU. Der Mann floh wenige Wochen später über Wien nach dem Westen.

Wie wichtig war die Berichters­tattung des ORF für die Bevölkerun­g in der ČSSR?

Der ORF war entlang der gesamten tschechosl­owakischen Grenze die verlässlic­hste Nachrichte­nstelle für die dortige Bevölkerun­g. In Pressburgz­eigtemanmi­rdie hohen Fernsehant­ennen auf den Dächern und meinte dazu: „Das ist unser Wienerwald“. Und das wussten wir im ORF. Das wusste auch der letzte tschechisc­he Kommentato­r, der sich über die

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Hugo Portisch analysiert­e vor 50 Jahren täglich im österreich­ischen Fernsehen die Lage im Nachbarlan­d

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