Vertraut eurem Bauchgefühl
Ein Plädoyer der Expertin für Emotionen: Natalia Ölsböck.
Gänsehaut bei der Geburt des eigenen Kindes, zitternde Knie nach dem Sturz mit dem Fahrrad. Empörung beim schnellen Durchlauf der postfaktischen Aufregungsspiralen, in denen der US-Präsident via Twitter regelmäßig wie ein Rohrspatz schimpft.
Die ganze Welt in Emotion! Topmanager geben heute zu, dass sie bei Entscheidungen auf ihrBauchgefühlhören. Forscher sehen sich indes in der Tradition von Albert Einstein, der der Intuition eine wichtige Rolle im Forschungsprozess beimaß.
Viel Wissen zum Thema Emotion hat sich die Psychologin Natalia Ölsböck angeeignet. Ölsböck berät Unternehmen und Privatpersonen, hat eine Zeit lang Politiker gecoacht und unterrichtet heute Berufskollegen. Eine ihrer Vorlesungen an der Akademie für Psychologie trägt den Titel: Emotionen als Ressourcen nützen. Na dann!
KURIER: Frau Ölsböck, haben Sie gleich viele Emotionen wie ich? Natalia Ölsböck: Ja und nein. Wenn wir davon ausgehen, dass wir beide weitgehend psychisch gesund sind, mit vielen Reizen aufgewachsen sind, dann können wir im wesentlichen aus demselben Repertoire an Emotionen schöpfen. Problematisch wird es, wenn einer von uns beiden beispielsweise an einer Depression leidet. Dann wird es schwierig bis unmöglich, positive Emotionen zu empfinden. Angst, Ekel, Freude, Trauer, Überraschung, Wut – Grundgefühle der Menschheit: mit welchen tun wir uns am schwersten?
Das ist ganz schwierig zu beantworten. WeildasvonMensch zu Mensch und auch von Kulturkreis zu Kulturkreis unterschiedlich sein kann, je nachdem wie wir geprägt wurden. Wenn ich nie gelernt habe, den Verlust eines Menschen zu verarbeiten, dann kann es für mich zum Problem werden, mit meiner Trauer richtig umzugehen. Schwierig ist es auch, bei einem gesellschaftlichen Tabuthema Emotionen zu verarbeiten.
Das führt direkt zu der Frage: Wie kann ich meinen Emotionshaushalt bestmöglich regulieren?
Grundvoraussetzungen dafürsind: dieFähigkeitzurSelbstwahrnehmungunddieSelbstregulation. DiemeistenMenschen können sich zum Beispiel bei Wut ganz gut beherrschen oder ihre Angst in den Griff bekommen. Es gibt kleine Tricks, die wir anwenden können, wenn uns Gefühle überrollen.
Können Sie den KURIER-Lesern ein paar Kniffe verraten?
Mankannsichangewöhnen, die Stärke der Emotionen auf einer Skala von 1 (ganz leicht) bis 10 (extrem stark) zu erspüren. Auch Ablenkung und Distanz helfen besonders gut. Wer depressiv ist, kann, um sich wieder besser zu fühlen, Dinge tun, die ihm sonst Freude bereiten. Ganzwichtigistauch: Aktivsein und lächeln, lächeln, lächeln. Auch wenn einem nicht danach ist. Dadurch bekommt das Gehirn den Impuls, wieder Positives zu empfinden.
Wie viel Emotion in einer Partnerschaft ist gesund?
Emotionen dürfen in einer Partnerschaft viel Platz einnehmen. Der entscheidende Punkt ist, dass ich mit meinem Partner eine gemeinsame Sprache finde, um den Ausdruck der Emotionenrichtigeinordnenzukönnen. Komme ich beispielsweise frustriert nach Hause, muss ich ihm klar verständlich machen, woher diese Emotion kommt. Sonst kann das der Partner persönlich nehmen. Wichtig ist wie gesagt die Fähigkeit zur Artikulation und zur Reflexion.
Haben die sozialen Medien unseren täglichen Umgang mit Emotionen verändert?
Sehr! Die Meldungsflut im Internet führt dazu, dass Informationen vereinfacht und verstärkt dargestellt werden. Alles, was nicht sehr krass berichtet wird, drohtimStrudeldersozialen Medien unterzugehen. Es kann daher oft sehr schnell gehen– undjemandwirdindensozialen Medien gemobbt.
Was macht denn diese große Aufregungsmaschine mit uns?
Wenn ich anderen Menschen gegenüber sitze, erhalte ich durch ihre Mimik sofort Rückmeldung, daher fällt es mir schwerer, ihnen Gemeines oder Abwertendes ins Gesicht zu sagen. Wer sich dessen nicht bewusst ist, kann die Kontrolle über seine Kommentare verlieren oder umgekehrt sehr leicht verletzt werden.
Sind dadurch soziale Folgeschäden zu erwarten?
Das können wir im Moment noch gar nicht sagen, müssen wir aber weiterhin genau beobachten. Zum Glück kann der Mensch auch auf seine Reparaturmechanismen vertrauen.
„Ideal ist es, wenn Menschen nicht von Angst, sondern von aufbauenden Emotionen geleitet werden.“Natalia Ölsböck Psychologin
„Heute wissen wir, dass auch die positiven Emotionen wichtig für unser Überleben sind.“Natalia Ölsböck Psychologin
Welche Mechanismen sind das?
Der Mensch ist anpassungsfähig, sonst könnten wir nicht überleben. Als Telefon, Fernseher oder Computer in die Haushalte einzogen, gab es auch gro- ße Bedenken, die Telekommunikationkönneschädlichaufdie Gesellschaft wirken. Der technische Fortschritt trägt enorm zur Entwicklung bei, und wir haben bisher auch gelernt, mit neuen Errungenschaften umzugehen.
Von Trump bis Putin, von Erdogan bis Brexit: überall Emotion. Sie haben Politiker gecoacht, daher die Frage an die Insiderin: Hat die Emotion die Ratio in der Politik abgelöst?
Eindeutig, eben auch durch diesozialenMedien. DasMuster ist weltweit dasselbe und funktioniert überall: man setzt auf die stark ausgeprägte Unsicherheit der Menschen, konstruiert Feindbilder und Bedrohungen, und bietet dann Sicherheit und einen starken Führer an.
Wie kommen wir zurück zur Ratio?
Das lässt sich eigentlich nur durch systemische Automatismen reparieren.
Und wie funktionieren diese?
Zu krassen Entwicklungen gibt es immer Gegenbewegun-