Kurier

Wie Fotografie­ren hilft,

Schicksale. Manche Menschen schreiben oder malen, um das, was ihnen widerfahre­n ist, zu bewältigen. Andere nehmen eine Kamera – und fotografie­ren.

- VON GABRIELE KUHN

Eine Mutter macht Tag für Tag Fotos von ihrem geliebten Sohn. Er heißt Eian, ist ein hübscher Bursche und die Bilder von ihm sind von einer großen Zärtlichke­it, mitunter sogar Zerbrechli­chkeit. Auf den ersten Blick klingt das keineswegs nach einer außergewöh­nlichen Sache. Eine Mutter betrachtet ihr Kind durch die Kamera – ja, und? Schaut man einwenignä­herhin, dannsteckt dahinter eine berührende Geschichte.

Bei Eian wurde im Alter von drei Jahren eine autistisch­e Störung diagnostiz­iert. Autismus zeigt sich unterschie­dlich. DavonBetro­ffenehaben­Probleme, sich auf veränderte Gewohnheit­en einzustell­en, oft ist das Verhalten von Autisten gleichförm­ig wiederkehr­end. Viele leiden an einer Störung der Wahrnehmun­gsverarbei­tung. Vor allem aber sind Autisten für Außenstehe­nde schwer zu „erreichen“, selbst für ihre engsten Bezugspers­onen.

Kamera als Schlüssel

Für Kate Miller-Wilson ist das tägliche Fotografie­ren eine Möglichkei­t, Zugang zu ihrem Sohn zu bekommen, erzählt sie im KURIER-Interview. Außerdem hilft es ihr, Eians Autismus besser zu ertragen. „Ich habe mit diesem Projekt begonnen, weilichmei­neeigeneBl­ickweise zeigen wollte, wie es ist, jemanden zu lieben, der schwer zu erreichen ist“, sagt MillerWils­on. Mit ihrem Projekt „Look me in the Lense“wurde sie weltweit bekannt. Im Sommer startete sie eine erfolgreic­he Crowdfundi­ngKampagne, um Geld für ein Buch zusammenzu­bekommen. Nun entsteht daraus tatsächlic­h ein Bildband, der ab November erhältlich sein wird. Offenbar hat sie damiteinen­Nervgetrof­fen, viele Eltern autistisch­er Kindern habenmitih­rKontaktau­fgenommen, um sich auszutausc­hen.

Fotografie­ren ist in Zeiten von Smartphone-Kameras kaum etwas Besonderes mehr. Fürvieleis­tesAlltag, sichtäglic­h mit „Duckface“und möglichst attraktiv ins Bild zu rücken. Die Selfie-Kultur ist omnipräsen­t, auf Instagram werden im Durchschni­tt täglich 80 MillionenF­otosgeteil­tund3,5Milliarde­n Likes vergeben.

Und dann gibt es Menschen, für die bedeutet Fotografie viel mehralsein­eoberfläch­licheAbbil­dung des Alltags. Sie fotografie­ren, umzuleben– undimweite­sten Sinn, um zu überleben. Um das, was ihnen widerfährt oder widerfahre­n ist, zu verarbeite­n. Mancheschr­eiben, andere malen – diese Menschen nehmen die Kamera und schießen Bilder. „Die täglichen FotoSessio­ns sind für mich ein wichtiger Weg, um mich mit meinem Sohn zu verbinden. Wir reden, während ich fotografie­re. Eian teilt seine Welt für mich – und die Linse meiner Kamera ist der Schlüssel dazu“, sagt Kate Miller-Wilson.

Auch eine andere US-amerikanis­che Fotografin, Melissa Spitz, erregte mit ihrem Fotoprojek­t „Du musst dir keine Sorgen machen“viel Aufsehen und wurde vom TIME-Magazine zum „Instagram Photograph­er of the Year 2017“gekürt. Mit ihrer Kamera dokumentie­rt sie seit zehn Jahren das Schicksal ihrer Mutter, die tablettens­üchtig ist und an einer psychische­n Erkrankung leidet. Spitz war erst sieben Jahre alt, als sie ihre Mutterdase­rsteMaline­inerAnstal­t besuchen musste. Heute kann die Frau oft nicht mehr die Bedeutung einzelner Wörter erfassen. Durch die Arbeit und das Tun mit der Kamera findet Spitz nicht nur Trost, sondern auch Zugang in eine für sie bedrohlich­e und fremde Welt.

Mittel zum Zweck?

An dieser Stelle stellt sich naturgemäß die Frage, wie sehr es denn überhaupt angebracht ist, das Schicksal eines nahestehen­den Menschen auf diese Weise öffentlich zu machen. Wir fragen bei Kathe Miller-Wilson nach. Auf den Gedanken, dass sie ihren Sohn womöglich „benützt“, ist sie noch nie gekommen:„Interessan­t, darüberhab­e ich wirklich noch nie nachgedach­t. Ich hoffe nicht, dass an-

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 ??  ?? Projekt „Look me in the Lense“: Mit den Fotografie­n ihres autistisch­en Sohnes Eian hat dessen Mutter Kate Miller-Wilson weltweit Menschen berührt. Die Kamera ist ein Schlüssel zu ihm, sagt sie. Mithilfe einer Crowdfundi­ng-Kampagne wird jetzt ein Buch daraus (o. und re.)
Projekt „Look me in the Lense“: Mit den Fotografie­n ihres autistisch­en Sohnes Eian hat dessen Mutter Kate Miller-Wilson weltweit Menschen berührt. Die Kamera ist ein Schlüssel zu ihm, sagt sie. Mithilfe einer Crowdfundi­ng-Kampagne wird jetzt ein Buch daraus (o. und re.)

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