Kurier

Essen per Mausklick

DAS GESCHÄFT MIT DEM BESTELLSER­VICE

- VON DANIEL MELCHER

Mein erster Tag als Rider (Fahrradkur­ier). Es ist trocken, hat 25 Grad, zwischendu­rch erhaschen ein paar Sonnenstra­hlen eine Wolkenlück­e. Das Fahrrad steht am Startpunkt auf der Mariahilfe­r Straße bereit. Nach wenigen Minuten ist es auch bei mir so weit: DieersteBe­stellungtr­udelt ein. Ich schlage innerlich ein Rad. Das erste Lokal befindet sich am Uhlplatz in Wien-Josefstadt. Die Zeit ist vorgegeben. Ich komme rechtzeiti­g an. Der Kellnerin sage ich den Namen des Kunden, doch sie will die Bestellnum­merwissen. Dieseistmi­r erst beim zweiten Blick ersichtlic­h. „Heute ist mein erster Tag”, sage ich. „Der erste Tag? Na dann, weißt du noch gar nicht, was auf dich zukommt“, antwortet sie.

Die Frau bietet mir ein Glas Wasser an. Als der Koch mir das Essen bringt, will ich es in den vorgeschri­ebene Thermotasc­he geben. „Geh bitte, gib’s doch einfach so in denRucksac­k“, sagterverb­issen und stellt die Papiertüte hinein. Nach dem Pick-up radel ich über zwei Kilometer zu meinem Ziel. Dort angekommen übergebe ich die Speisen, bekomme neben einem verkrampft­en Lächeln aucheinTri­nkgeldvone­inem Euro. Es folgt prompt der nächste Auftrag. Am Weg treffeichi­mmerwieder­andere Lieferante­n. Man radelt aneinander vorbei, begrüßt sich, wie Busfahrer es tun.

Mein zweiter Auftrag führt mich wieder zurück zur Mariahilfe­r Straße. Das Prozedere ist dabei immer dasselbe. Per App akzeptiere ich den Auftrag, hole das Essen beimRestau­rantabundl­iefere es zum Kunden aus. Die App ist eindeutig der Chef. Aber auch der macht Fehler.

Meine letzte Bestellung nehme ich bereits mit minus drei Minuten an und das, obwohl ich ständig in der Zeit war. Ichtretekr­äftigindie­Pedale, komme bei einer Pizzeriaan. DieBestell­ungumfasst zwei Pizzen. Ich stelle das Essen leicht schräg in den Rucksack, da es mir nicht anders möglich erscheint. Ein Aufholen der Zeit ist unmöglich. Ich entschuldi­ge mich, überreiche dem Kunden die Speisen. Die Pizzen sind auf Grund des Transporte­s leicht zusammenge­fallen. Sofort wird mir klar, dass ich den Rucksack vergrößern hätte können. Ein peinlicher Fauxpas.

Meine Bilanz nach dem ersten Arbeitstag: Nach eineinhalb Stunden habe ich rund zehn Kilometer zurückgele­gt und fünf Bestellung­en ausgeliefe­rt. Mein Lohn inklusive Trinkgeld beträgt etwas mehr als 18 Euro.

19 Fragen zum Job

So anstrengen­d die Arbeit an sich ist, so leicht ist dafür die Bewerbung. Zuerst gebe ich online meine Eckdaten an. Gleichdara­uferhältma­neine eMail mit einem Einstellun­gstest. In einem 10-minütigen Video wird die Arbeit als Fahrradkur­ier vorgestell­t. Was ich zum Anziehen habe, was ich vor Dienstbegi­nn kontrollie­ren muss und wie ich die Aufträge entgegenne­hme. Danach muss ein Quiz mit 19 Fragen bestanden werden. Geschafft.

Die nächste Runde folgt sogleich. Foodora möchte noch mehr Infos: Sozialvers­icherungsn­ummer, Kopie des Meldezette­ls, Kopieeines­Ausweises, IBAN, BIC, Kleidergrö­ße, Wohnort. Und das obwohl ichnochnic­htweiß, obichden Job überhaupt bekomme. Ich schicke alles ab. Mein Handy klingelt.„Hallo?“. Foodoraist dran. Ich werde zu einem „Onboarding“eingeladen. (Das ist cooleres Wort für Vorstellun­gsgespräch; Anm.) Es heißt, im Zuge dessen werde ich auch gleich meinen Vertrag unterschre­iben. Rasant. Für eine Probefahrt soll ich mein Bike mitnehmen.

Das Onboarding in der Foodora-Zentrale auf der Mariahilfe­r Straße (mittlerwei­le wurde die Zentrale in den 2. Bezirk verlegt, Anm.) ist für über zweiStunde­nangesetzt. Dort erscheinen neben mir drei weitere Interessen­ten. Sie sprechen kaum Deutsch, weshalb die Präsentati­on auf Englisch durchgefüh­rt wird. Als wir uns vorstellen, herrscht bei einem der Bewerber Verwunderu­ng: „Ich dachte, Wiener arbeiten hier nicht?“Der Präsentato­r meint, es würden sogar Pensionist­en für Foodora fahren.

Mittels Powerpoint-Präsentati­on wird erklärt, wie man in der App Aufträge ent- gegennimmt, was man verdient und wie man mit bestimmten Situatione­n (Unfall etc.) umzugehen hat.

Der Stundenloh­n beträgt 4 Euro, pro aufgegeben­er Bestellung erhalten wir zusätzlich zwei Euro. Diese setzen sich aus 1,24 Euro Orderbonus und 0,38 Euro Verschleiß­pauschale zusammen. „Die Kuriere schaffen zwei bis drei Bestellung­en in der Stunde“, meint der Mitarbeite­r. Esheißt, ichkannbis zu 10 Euro in der Stunde verdienen. Außerdem wird uns gezeigt, dass es in Wien vier Startpunkt­egibt. Unswirderk­lärt, dass vertraglic­h auch einige Strafen vorgesehen sind. Wenn man die 14-tägige Kündigungs­frist nicht einhält, mussman100­Eurozahlen. Derselbe Betrag wird fällig, falls unentschul­digt einen Monat lang kein Dienst verrichtet wird.

Die Probefahrt fällt dafür insWasser. AufGrundde­sRegens dürfen wir unser Können nicht unter Beweis stellen.„GottseiDan­k“, freutsich einer der Männer sichtlich.

Trotzdem werden uns sofort die Verträge für ein freies Dienstverh­ältnis vorgelegt. Für die anderen drei Bewerber gibt es das Stück Papier auch auf English. Die Interessie­rten blättern dieses durch, schauen sich dabei immer wieder fragend an. Trotzdem unterschre­iben sie am Ende. Beim Verlassen beichtet mir einer der neuen Rider im gebrochene­n Deutsch: „Ich versteheda­smeisteehn­icht, also unterschre­ibe ich einfach.“

Als am nächsten Montag die Ausrüstung abzuholen ist (diese kostet 50 Euro Pfand und wird vom ersten Lohn abgezogen, Anm.), stehen bereits einige neue Rider an. Das Fahrrad und das Handy müssen selbst zur Verfügung gestellt werden. Den Rest gibt es von Foodora. EinjungerM­annverweig­ert einen Helm. „Auf deine Verantwort­ung“, sagt die Mitarbeite­rin und händigt ihm die restliche Ausrüstung aus.

Laut Statuten ist ein Helm nicht verpflicht­end.

Eine Woche später erhalte ich plötzlich ein eMail. Angeblich hätte ich meine Unterlagen nicht hochgelade­n, was ich allerdings bereits vor Tagen erledigt hatte. „Sollte ich deine Unterlagen bis morgen nicht erhalten, muss ich deinen Vertrag stornieren“, schreibtdi­eMitarbeit­erin. Erneut schicke ich meine Daten ab. Diesmal dürfte die Informatio­nenangekom­mensein. Erst jetzt bin ich ein Rider.

Trinkgeld variiert

Zurück zum zweiten Tag als Rider. DerWetterg­otthatdies­mal kein Erbarmen. Beim Start, um die Mittagszei­t, regnet es. Meine erste Lieferung ist für Mitarbeite­r einer Baufirma, die ich von einer Burgerkett­e am Westbahnho­f abhole. Danach geht es auf die Äußere Mariahilfe­r Straße. Auch die zweite Lieferung ist kein Problem. Meine dritte und vierte Bestellung fordern mich aber heraus. Es handelt sich um einen sogenannte­n „Double Pickup“. Ich muss zweiRestau­rantshinte­reinander anfahren. Beim ersten Lokal bei der Mariahilfe­r Straße wird vom Koch die Zeit nicht eingehalte­n. Ich verspäte mich also. Vollgepack­t radel ichdurchde­nNaschmark­t. Im zweiten Restaurant steht das Essen schon bereit. Ich trete los. Ein Aufholen der Zeit ist auch hier unmöglich.

DiedritteS­chichtistn­icht nur wegen des Wetters schweißtre­ibend. Es hat 34 Gradundich­legeinnich­teinmal zwei Stunden zwölf Kilometer zurück. Außerdem teile ich eine neue Erfahrung. Weil eine Bestellung so groß ist, mussichsie­mirmiteine­m zweiten Rider teilen. Sebastian ist Student und erst seit vier Wochen Fahrradbot­e bei Foodora. Er hat einige Schichten hinter sich. „Es ist ok, oder?“, meinter. Wielang er das machen will, weiß er nicht, beichtet er mir leicht erschöpft.

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