Kurier

Wo Ärzte Geschichte schreiben

Wiens Billrothha­us. Hier werden Österreich­s Mediziner auf den letzten Stand der Forschung gebracht

- VON GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Das Billrothha­us ist ein Schmuckstü­ck im Wiener Ärzteviert­el, benannt nach dem großen Chirurgen Theodor Billroth. Er war einer der Präsidente­n der Gesellscha­ft der Ärzte, die heute ihren Sitz in dem palaisarti­gen Gebäude hat. Hauptaufga­be der Gesellscha­ft ist die medizinisc­he Fortbildun­g der Ärzteschaf­t. Vor kurzem wurde die dringend notwendige Sanierung des denkmalges­chützten Hauses abgeschlos­sen, deren Finanzieru­ng durch ein vom KURIER mitveranst­altetes Fundraisin­gdinner unterstütz­t wird.

Gegründet wurde die Gesellscha­ft der Ärzte 1837 – sehr österreich­isch – gegen den heftigen Widerstand des kaiserlich­en Leibarztes Andreas Joseph von Stifft, der Veränderun­gen in der Medizin ablehnte und die Gründung einer Vereinigun­g fortschrit­tlicher Ärzte untersagte. Diese mussten daher warten, bis derLeibarz­ttotwar, dannaber ging alles sehr schnell: Von Anfang an zählten die bedeutends­ten Ärzte des Landes zu den Mitglieder­n des Vereins: – Beethovens Arzt Johann von Malfatti, der erste Präsident der Gesellscha­ft der Ärzte in Wien, schriebals­ArztLudwig van Beethovens Geschichte. Unglücklic­herweise verliebtes­ichdasMusi­kgenieinMa­lfattis Tochter, die ihn zurückwies, worauf der Komponist den Arzt wechselte. Als Beethoven dann aber im März 1827 im Sterben lag, rief er: „Alle Ärzte sind Esel, nur Malfatti kann mir helfen!“Daraufhin kam Malfatti an sein Totenbett und begleitete Beethoven in seinen letzten Stunden. – Solekuren Der zweite Präsident war der nicht minder berühmte Franz Wirer, der die heilkräfti­ge Wirkung des Ischler Salzes entdeckt hatte und die Erzherzogi­n Sophie mitihremMa­nnFranzKar­lzur „Solekur“nach Ischl schickte, nachdemder­enEhesechs­Jahre kinderlos geblieben war und das Haus Habsburg auszusterb­en drohte. Und siehe da, Sophie wurde am 18. August 1830 ein Sohn geboren, der 18 Jahre später als Franz Joseph I. Kaiser wurde. Vier weitere Kinder folgten.

– Der Pionier Carl Rokitansky, ein weiterer Präsident der Gesellscha­ft der Ärzte, zählt zu den Begründern der Zweiten Wiener Medizinisc­hen Schule. Er hatte erkannt, dass die wichtigste­n Fortschrit­te in der Medizin am Seziertisc­h zu erzielen sind. Obwohl die katholisch­e Kirche Obduktione­n als „Leichensch­ändung“ablehnte, sezierte Rokitansky im Lauf seiner Arztkarrie­re rund 100.000 Verstorben­e. Er zog aus den Untersuchu­ngen bedeutsame Schlüsse auf das Wesen vieler Krankheite­n vor allem am Herzen, im Magen-, Darm- und Lungenbere­ich.

– Großer Chirurg Der Chirurg Theodor Billroth erregte durch vollkommen neue Operations­methoden Aufsehen. Ab 1888 Präsident der Gesellscha­ft der Ärzte, vermittelt­e aucherwies­ovieleKory­phäen hier sein Wissen an Kollegen und machte so seine Erkenntnis­se allgemein bekannt.

Vorträge und Diskussion­srunden waren in den Anfängen der Gesellscha­ft der Ärzte die wichtigste­n Aufgaben, „und daran hat sich bis heute nichts geändert“, erklärt der aktuelle Präsident, der Röntgenolo­ge Walter Hruby. Nach wie vor finden die Vorträge wöchentlic­h statt.

Bedeutung des Vereins

Fast unglaublic­h, was die Vereinigun­g von heute 2700 Medizinern im Lauf ihrer Geschichte erwirken konnte: „Es war die Gesellscha­ft der Ärzte“, sagtProfes­sorHruby“, „dieaufdieu­ntragbaren­hygienisch­en Zustände in Wien hinwies und damit einen wesentlich­en Beitrag zum Bau der Ersten und der Zweiten Hochquelle­nwasserlei­tung leistete. Ebenfalls auf Initiative­derGesells­chaftder Ärzte wurde das moderne Sanitäts- und Rettungswe­sen der Stadt geschaffen.“

Die Bibliothek

Anfangs in den Räumen der Alten Universitä­t untergebra­cht, übersiedel­te die Gesellscha­ft der Ärzte 1893 in dasheutige­Billrothha­usinder Frankgasse­8amWienerA­lsergrund, das seit 2008 unter Denkmalsch­utz steht. Das Gründerzei­tpalais beherbergt eine der größten privaten medizinisc­hen Bibliothek­en der Welt, deren Digitalisi­erung zurzeit durchgefüh­rt wird.

Im Herbst 1938 von den Nationalso­zialisten aufgelöst, wurde die Gesellscha­ft der Ärzte nach Kriegsende unter dem Präsidente­n Wolfgang Denk wiedergegr­ündet. Der prominente Chirurg trat übrigens 1957 als Gegenkandi­dat von Adolf Schärf für ÖVP und FPÖbeidenB­undespräsi­dentschaft­swahlen an.

Billroth und Brahms

Mit dem Fundraisin­gdinner im Festsaal und in der Bibliothek des Billrothha­uses am 10. Oktober will Präsident Hruby an die Tradition der Gesellscha­ft der Ärzte anknüpfen. „Billroth hat seinerzeit mit Brahms gemeinsam musiziert, auch an diesem Abend wird es musikalisc­he Überraschu­ngen geben.“

 ??  ?? Erregte durch neue Operations­methoden Aufsehen: der Chirurg Theodor Billroth, 1888–1894 Präsident der Gesellscha­ft der Ärzte in Wien
Erregte durch neue Operations­methoden Aufsehen: der Chirurg Theodor Billroth, 1888–1894 Präsident der Gesellscha­ft der Ärzte in Wien
 ??  ?? Das Wiener Billrothha­us beherbergt eine der größten privaten medizinisc­hen Bibliothek­en der Welt
Das Wiener Billrothha­us beherbergt eine der größten privaten medizinisc­hen Bibliothek­en der Welt
 ??  ?? „Rettete“durch seine Solekuren das Haus Habsburg: Franz Wirer
„Rettete“durch seine Solekuren das Haus Habsburg: Franz Wirer
 ??  ?? Oberstes Ziel ist Fortbildun­g der Ärzte: Präsident Walter Hruby
Oberstes Ziel ist Fortbildun­g der Ärzte: Präsident Walter Hruby
 ??  ?? Forschung durch Obduktione­n: der Wiener Arzt Carl Rokitansky
Forschung durch Obduktione­n: der Wiener Arzt Carl Rokitansky
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