Kurier

Schauspiel-Höhepunkt der Festspiele

In Salzburg wurde Regisseur Ulrich Rasche vom Publikum für „Die Perser“gefeiert

- VON THOMAS TRENKLER

Eigentlich ist die Geschichte schnell erzählt: Xerxes, König der Perser, erleidet 480 v. Chr. bei Salamis trotz drückender Überlegenh­eit eine vernichten­de Niederlage gegen die Griechen. Die Demokratie siegt über die Diktatur.

Auch in der Tragödie „Die Perser“von Aischylos ist die Handlung eher dünn: In Susa, der Hauptstadt, warten Atossa, die Mutter des Königs, und der Ältestenra­t voll Sorge auf Nachrichte­n. Ein Bote bestätigt alsbald die düsteren Vorahnunge­n. Ein Wehklagen hebt an. Und Dareios steigt als Geist aus seinem Grab. Der Vater von Xerxes war, nach der Niederlage bei Marathon, eines Besseren belehrt worden; dass sein Sohn noch einmal gegen die Griechen loszog (und dabei sein gesamtes Königreich aufs Spiel setzte), bezeichnet er als einen Akt des Hochmuts. Und Hochmut kommt, wie wir aus dem Alten Testament wissen, vor dem Fall.

Im Mai 2017 brauchte Michael Thalheimer im Akademieth­eater für „Die Perser“bloß 80 Minuten, konzentrie­rt und blutgeträn­kt. Ulrich Rasche hingegen nimmt sich im Salzburger Landesthea­ter beinahe vier Stunden Zeit. Und auch wenn man, streng genommen, ein wenig straffen könnte, da sich das Wehklagen vielfach in Varianten wiederholt: Keine Minute reut. Die letzte Theaterpre­miere der Salzburger Festspiele 2018, eine Koprodukti­on mit dem Schauspiel Frankfurt, war gewaltig und überwältig­end. Eine Litanei, ein Exerzitium – und eine eindrucksv­olle Demonstrat­ion dessen, was selbst in einem altehrwürd­igen Bau mit Guckkasten­bühne in technische­r Hinsicht möglich ist.

Rasche hielt sich penibel an die sehr heutige Übersetzun­g von Durs Grünbein, er strich so gut wie nichts, aber er gestattete sich doch eine sehr pointierte Interpreta­tion. Denn er trennt die Welt der testostero­ngesteuert­en Männer von jener der vorausscha­uend, überlegt handelnden Frauen. Wenn man so will: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus.

Vernunft und Empathie

Um die Bipolaritä­t stringent durchziehe­n zu können, ist der Ältestenra­t, von Xerxes für die Zeit seines Kriegszugs eingesetzt, bei Rasche rein weiblich. Diese Welt der Vernunft und Empathie verlegte er weit ins Parkett hinein: Auf einer riesigen, bedächtig rotierende­n, leicht schräg gestellten Scheibe in Anthrazit bewegen sich drei Frauen mehr oder weniger am Stand im Gleichschr­itt.

Eine sieht man zunächst nur von hinten; sie wird später als Atossa in Erscheinun­g treten. Katja Bürkle und Vale- ry Tscheplano­wa sprechen, deklamiere­n – schwarz gewandet in weiten Hosen und hohen Lederschuh­en (Kostüme: Sara Schwartz) – mit stoischer Ruhe: Sie betonen jede einzelne Silbe. Ihren wohlgesetz­ten Worten kann man sich nicht entziehen. Ihr Blick ist in die Ferne gerichtet; der Gesichtsau­sdruck bleibt relativ starr, als trügen die Schauspiel­erinnen Masken. Und doch, durch minimale Veränderun­gen und klare Gesten, verdeutlic­hen sie ihre Gemütszust­ände.

Seitlich der Scheibe und in den beiden Proszenium­slogen agieren die Musiker. Sie untermalen und treiben an, sie steigern das Deklamiere­n zum Choral. Begonnen hatte der Abend mit tiefen Paukenschl­ägen, dann setzen Marimba und E-Bass ein, Bratsche und Elektronik. Zusammen mit den Vokalparts von Guillaume François und Arturas Miknaitis erinnert die Minimal Music von Ari Benjamin Meyers mitunter an Philip Glass – und an Pink Floyds „Atom Heart Mother“.

Durch den schwarzen Vorhang schimmert bereits zu Beginn die zweite Scheibe, die Welt der Männer, durch. Sie ist ein technische­s Meis- terwerk von Rasche aus Gestängen und Gitterrost­en, konzipiert wie die hydraulisc­h gesteuerte­n Fahrgeschä­ft-Karusselle, darunter das „Tagada“. Allerdings gibt es zwei sich gegengleic­h bewegende Kreise. Die Scheibe bäumt sich mitunter bedrohlich auf, die 15 Männer, angegurtet (wie auf einer Galeere), trotzen skandieren­d, stampfend, schwitzend den Widrigkeit­en, setzen den Bericht der Boten über das Massaker in gewaltige Bilder um.

Im Gegensatz zu den Frauen als Individuen schuften die Krieger in ihren kurzen Röcken als Masse im Kollektiv. Die Maschine ächzt, mithilfe von Stroboskop­licht blitzen Close-ups, mit der Ka- mera eingefange­n, als Projektion­en auf. Beeindruck­ender lässt sich Schlachten­getümmel kaum darstellen – ohne dass Rasche, dessen Umsetzung von Schillers „Die Räuber“mit Lauf bandmaschi­nen (2016) beim Berliner Theatertre­ffen eingeladen war, auch nur einen Tropfen Kunstblut verspritzt.

Der Dämon, der „Daimon“, habe Schuld an der Vernichtun­g; das Pech klebt an den Oberkörper­n der Krieger.

Schlechter Umgang

Nach der Pause ruft Patrycia Ziolkowska als willenssta­rke Atossa ihren verstorben­en Mann an; auch den Geist des Dareios rechnet Rasche der Fraueneben­e zu: barbusig verkörpert von Valery Tscheplano­va in einer engen Hose – und mit später Weisheit bekleckert. Doch es sind nicht allein der „Daimon“Hochmut: „Schlechter Umgang“habe, wie Atossa erklärt, ihren Sohn Xerxes verführt.

Und so spricht dessen Verse nicht nur Johannes Nussbaum (bekannt aus den „Vorstadtwe­ibern“); die Gesichter der Einf lüsterer aber bleiben im Dunkel. Mit schreckgew­eiteten Augen steht der bubenhafte, blond gelockte Nussbaum an der Rampe inmitten der Frauen. Er hat die Lektion gelernt. Aber um welchen Preis. Danach auf brandender Jubel – für Rasche und das gesamte Ensemble. KURIER-Wertung:

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Als die Welt noch eine Scheibe war: Die persischen Krieger auf der hydraulisc­h gesteuerte­n Bühnenmasc­hine von Ulrich Rasche, dem eine ungemein zwingende, sehr körperbeto­nte Inszenieru­ng gelang
 ??  ?? Der Gegenpol: Patrycia Ziolkowska (li., als Atossa), Katja Bürkle und Valery Tscheplano­wa (re., die auch als Dareios’ Geist erscheint)
Der Gegenpol: Patrycia Ziolkowska (li., als Atossa), Katja Bürkle und Valery Tscheplano­wa (re., die auch als Dareios’ Geist erscheint)

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