Erinnerungen an das erste Mal
Lebenslauf. Das Fahrrad begeisterte immer schon die Technikaffinen. Doch darüber hinaus erfreute es von Anfang an auch Kinder und Jugendliche.
Auf einmal tauchte es auch in ihrem Dorf auf. Notierte Karoline Weiss, die im Jahr 1893 in der Pinzgauer Gemeinde Stuhlfelden geboren wurde. Es: „Das erste Fahrrad, und es gehörte meinem Vater.“
Das erste Fahrrad war immer schon etwas Besonderes, wie man auch in der wunderbaren Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen erfahren kann. Die Dokumentation, die am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien angelegt wird, enthält auch die Tagebucheinträge von Karoline Weiss.
Die Salzburgerin, die inzwischen verstorben ist, hielt seinerzeit ferner fest: „Wir Geschwister waren mächtig stolz auf diesen Besitz, nur die Mutter nicht. Sie jammerte um das viele Geld und überdachte alle Gefahren, die aus dem Gebrauch so eines Vehikels entstehen konnten.“
Und ihr lieber Vater? „Vater aber schlich sich abends auf allen Hinterwegen des Dorfes auf die Landstraße hinaus, um zu üben. Heim kehrte er immer in der Dunkelheit, Hände und Knie zerschunden und mit zerrissenen Hosen.“Aller Anfang ist schwer. Dies konnte auch der Wiener Zeitzeuge Karl Schovanez bestätigen.
Die erste Brez’n
Schovanez wurde im Jahr 1894 als Sohn tschechischer Zuwanderer geboren, er wuchs draußen in Hernals auf. Herrlich seine Schilderung über den ersten Radausflug: Mit seinem Freund, dem Pepi, ging er im zarten Alter von zehn Jahren zu einem Mechaniker im 17. Bezirk, um von diesem zwei Fahrräder auszuborgen. Das Fahrrad bremsen und in die Kurve lenken konnten die beiden Lausbuben noch nicht. Das war ihnen vorerst auch gar nicht so wichtig.
Doch auf der rasanten Abfahrt durch die Hernalser Weidmanngasse bemerkten sie plötzlich ihren eklatant leichtsinnigen Mangel an Know-how: „Etwas ging es schon bergab, aber das verstanden wir Dummköpfe nicht. Wir hörten schon lange zu treten auf, aber die Fahrt wurde immer schneller und schneller. Wir versuchten, mit den Schuhen seitlich die Felgen zu bremsen, aber alles nützte nichts, immer schneller wurde die Fahrt.“
Das Schicksal der Hernalser Lausbuben Karl und Pepi nahm seinen Lauf: „Wir saßen wie die Tobsüchtigen auf den Rädern. Ich voran, Pepi hintnach … Ritsch … Ritsch … über die Kreuzungen Blumengasse, Beheimgasse … Psssssssssst … vorbei.“
Ihre Brez’n war vorprogrammiert: „Wir hörten noch einige herzige Kosenamen, die uns von den Leuten nachgerufen wurden, aber sonst nichts mehr. Wir kamen zur Pezzlgasse, und da mussten wir, ob wir wollten oder nicht, einbiegen oder an der Mauer vom 43er Haus picken bleiben.“
Mit dem „Jägerrad“
Weniger spektakulär sind dagegen die Erinnerungen von Sepp Prokesch, der im Jahr 1913 in Liesing bei Wien (zu jener Zeit noch eine Gemeinde in Niederösterreich) geboren wurde. Der Sohn eines Brautechnikers erinnert sich noch genau an das Fahrrad seines Vaters: „Was für ein Rad!“Prokeschs Vater nannte es „Jägerrad“: „Ein Oldtimer, Geburt vermutlich vor 1900. Kurz, hoch, keine Kotschützer, eine nicht verwendbare Vorderradbremse.“
Einmal durfte der Sohn, der später selbst lange Zeit als Braumeister arbeitete, auf der Lenkstange des väterlichen Fahrrads mitfahren, von Liesing nach Brei- tenfurt, ein einmaliges Ereignis: „Wie wir das Rad aber bestiegen, ist mir heute noch ein Rätsel, dies muss Akrobatik in höchster Form gewesen sein.“Unterwegs hörte er öfters die Stimme seines Vater: „Gib acht auf die Füße! Und: „Vorsicht auf das Vorderrad!“Dabei taten ihm „sämtliche Fleischteile, die man zum Sitzen braucht, schon sehr weh, Kindersattel gab es ja noch nicht.“In Breitenfurt pausierte man im Gasthaus Lausenhammer: „Mein Vater belohnte sich mit einem Krügerl Bier, und ich bekam das damals so beliebte rote Kracherl mit dem lustigen Glaskugelverschluss. Heimwärts nach Liesing ging es leichter, da (war) ein leichtes Gefälle.“