Wo ist der Wiener Grant?
Als sprichwörtlicher Rückkehrer – „Heimkehrer“wäre in meinem Fall eine Spur anbiedernd –, sei mir ein wohlwollend kritischer Blick auf Wien erlaubt.
Es erstaunt kaum, dass die Stadt seit Jahren im Ranking der Städte mit der höchsten Lebensqualität mit Vancouver und Zürich um den Spitzenplatz streitet und meist gewinnt. Letztere profitiert vom See, gegen den die Alte Donau dann doch nicht zu bestehen vermag. Dafür punktet Wien mit den „Öffis“, deren Effizienz hier unerreicht ist. Zudem sind sie fast gratis. Die Umgangsformen mancher Benutzer sind ja nicht dem Beförderungssystem anzulasten.
Bunt und traditionell
Doch! Wien wird immer schöner, lebendiger, farbiger, auch wenn dies Nationalkonservativen und Populisten unterschiedlicher Couleur wider den Strich geht. Freuen wir uns an den Märkten, deren Angebot gerade jetzt im Sommer überwältigend ist und beinahe mediterranes Flair auf kommen lässt. Wie allerdings die zuständige Behörde zulassen kann (darf? muss?), dass sich im unteren Teil des Naschmarkts Anbieter ausbreiten, die reinen Touristenmüll verkaufen, ist mir schleierhaft.
Ist es bloß der Sommer, oder täusche ich mich, dass die sprichwörtliche Grantigkeit, die mir von früher durchaus vertraut ist, weitgehend verschwunden scheint oder sich nur hie und da bei Busfahrern, Trafikanten, Parksheriffs und anderen populären Berufen manifestiert? Die Bürokratie hingegen, mit der sich der Neuankömmling auseinandersetzen muss, ist zwar nicht ausschließlich mit PRversierten Willkommensbotschaftern bestückt, hat mir gegenüber aber stets ein freundliches Gesicht gezeigt. Dass die nette junge Dame in der MA 35 nach wie vor ein Papierdossier erstellt und mit Verve Kopien stempelt, ist ja nicht ihre Erfindung, sondern Ausdruck überkommener theresianischer Verwaltungskultur. Kurz: Die Wiederansiedlung in Wien ging reibungslos vonstatten, auch wenn die Amtsstellen dezentral organisiert sind und mittwochs und freitags eine Pause im Publikumsverkehr einschalten.
„Ka Problem, mach ma“
Eher schwierig ist die Einfuhr eines Fahrzeugs – nota bene aus einem anderen EU-Staat –, wenn es denn in seiner ersten Inkarnation ein diplomatisches war: Es fehlt ein Schriftstück, genauer: eine Seite eines bestimmten Dokumentes, das der Ausreisestaat partout verweigert. Zur Einfuhr benötigt man aber eine Konformitätsbescheinigung, die der Generalimporteur (!) nur gegen die Aushändigung eben dieses Dokumentes ausstellt. Da ist guter Rat teuer, Anrufe und eMails über die Landesgrenzen hin oder her, bis es zu guter Letzt dem freundlichen und zuvorkommenden Beamten der kompetenten Dienststelle reicht: „Ist ja eh ka Problem, mach ma!“– Danke, Herr X!
Noch vor dem Auto braucht der Mensch eine Wohnung, die er am ehesten durch die Vermittlung eines Maklers findet. Das Angebot an attraktiver Bausubstanz und entsprechenden Wohnungen ist eindrücklich und im Gegensatz zu andern Kapitalen nicht völlig unerschwinglich. Sonderbar mutet lediglich an, dass die Vermittlungsgebühr im Normalfall vom Mieter und nicht dem Eigentümer geschuldet ist.
Urs Breiter war von September 2010 bis August 2014 Schweizer Botschafter in Wien.