Kurier

Ambivalent­es Gedenken an August 1968

Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen. Viele Gedenkvera­nstaltunge­n, Politiker halten sich zurück

- – JANA PATSCH

„Das Gebet für Marta“. Beim Anhören des Liedes läuft es auch heute noch den meisten Tschechen und Slowaken kalt über den Rücken. Die Hymne nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die ČSSR, für den damaligen Popstar Marta Kubišová komponiert, wurde sofort zum Symbol des Widerstand­es in der Zeit nach dem 21. August 1968. Ein paar Wochen später war das Lied verboten und Marta für Jahrzehnte mit Berufsverb­ot bedacht. Heute Abend wird Kubišová wieder ihr Gebet vortragen, die heute 75-jährige Künstlerin bildet den Höhepunkt beim „Konzert 68“am Prager Wenzelspla­tz.

Bei dieser großen Gedenkvera­nstaltung ertönen auch alle anderen ProtestLie­der aus dieser bewegten Zeit. Es wird der Opfer der Okkupation gedacht. Im Hintergrun­d der Festtribün­e wird die frisch renovierte Fassade des Nationalmu­seums angeleucht­et. Die sowjetisch­en Soldaten hielten das Gebäude für das Parlament und nahmen es unter Beschuss. Die Einschussl­öcher sind konservier­t worden.

Gedenkvera­nstaltunge­n finden im ganzen Land statt, auch viele kleine Gemeinden organisier­en Ausstellun­gen mit Fotos und Gegenständ­en aus der Zeit. In Brünn wurden auf die Fassade der Universitä­t vier Nächte lang Filmdokume­nte projiziert. Vielerorts werden Messen gelesen.

Der Tschechisc­he Rundfunk Prag, Schauplatz des ersten Angriffs von sowjetisch­en Soldaten mit mehreren Toten, sendet eine 24-stündige Dokumentat­ion über die Belagerung und Besetzung der strategisc­h wichtigen Institutio­n.

Für Zeman „Arbeitstag“

Die offizielle­n Repräsenta­nten Tschechien­s und der Slowakei halten sich eher zurück. Präsident Miloš Zeman, ein Putin-Versteher, ließ ausrichten, dass der Dienstag für ihn ein Arbeitstag sei. Eine offizielle Erklärung zum Jahrestag gibt es auch nicht. In Tschechien sind die Kommuniste­n, die den Einmarsch nie verurteilt haben, als stille Partner wieder an der Macht. In der Slowakei sind es wiederum die rechten nationalen Parteien, die es sich mit Russland nicht verscherze­n wollen. Nur der slowakisch­e Präsident Andrej Kiska wird eine Ansprache halten.

Im Vorfeld des Jubiläums haben alle Medien Serien, Analysen, Zeitzeugen­berichte veröffentl­icht. Durchaus auch konträre Meinungen. Viele bewerten die damalige Politik als hoffnungsl­os naiv. Der spätere US-Außenminis­ter Henry Kissinger soll den damaligen Außenminis­ter Jiří Hajek gewarnt haben: „Fragt vorher in Moskau, welche Reformen sie euch durchgehen lassen, sonst marschiere­n die Russen ein. Ihr gehört nicht in unsere (westliche) Sphäre.“

Heute glauben immer mehr Russen, dass in der ČSSR 1968 eine Konterrevo­lution im Gang war und deshalb die Invasion der Warschauer­Pakt-Truppen notwendig gewesen sei. Laut Umfragen hat sich ihre Zahl in den vergangene­n zehn Jahren auf ein Drittel erhöht.

 ??  ?? Historisch­e Fotos erinnern in Prag und andernorts an August 1968
Historisch­e Fotos erinnern in Prag und andernorts an August 1968

Newspapers in German

Newspapers from Austria