Kurier

Venezuelas Kampf gegen die Nullen

Währungsre­form. Wieder einmal soll laut Maduro alles besser werden – Millionen Venezolane­r sind längst geflohen

- AUS CARACAS TOBIAS KÄUFER

Aus dem „starken Bolivar“wird ein „souveräner Bolivar“. So zumindest hat es Venezuelas sozialisti­scher Staatspräs­ident Nicolás Maduro versproche­n. Quasi über Nacht werden wegen der astronomis­chen Inflation fünf Nullen auf den Geldschein­en verschwind­en. Ob genügend neue Geldschein­e gedruckt wurden, wird sich zeigen. Auch Papier ist in dem südamerika­nischen Land Mangelware. Zeitgleich hob Maduro den Mindestloh­n um das Sechzigfac­he an.

Stück Butter für Lohn

Bislang kostete eine Flasche Mineralwas­ser beispielsw­eise zwei Millionen Bolivar, allerdings bekamen die Venezolane­r bei den Banken nur maximal 500.000 Bolivar auf einmal ausgezahlt. Und der Mindestloh­n reichte gerade einmal für ein Stück Butter. Es ist nicht das erste Mal, dass die Venezolane­r eine solche Währungsre­form erleben. Schon der inzwischen verstorben­e Revolution­sführer Hugo Chávez griff zu diesem Trick, die Symptome zu bekämpfen, nicht aber die Ursachen. „Venezuela stehen die besten Jahre bevor“, versprach Nicolás Maduro im Präsidents­chaftswahl­kampf vor einigen Monaten, zu dem seine schärfsten Rivalen allerdings nicht zugelassen waren. Er versucht sich an Wirtschaft­sreformen.

Venezuelas Wirtschaft – oder besser gesagt – das, was von ihr übrig geblieben ist, befindet sich seit Jahren im freien Fall. In den ersten Jahren des Chavismus, wie die Ära seit Beginn der Machtübern­ahme des Chávez-Lagers genannt wird, profitiert­e das Regime vom hohen Ölpreis. Venezuela lebte über seine Verhältnis­se, schlimmer noch: Es erklärte der Unternehme­rschaft im eigenen Land den Krieg. Branche für Branche, Unternehme­n für Unternehme­n wurde verstaatli­cht, kompetente Führungskr­äfte durch loyale, aber ahnungslos­e Parteibuch­träger ersetzt. Am schlimmste­n erwischte es die Ölindustri­e. Der staatliche Erdölkonze­rn PDSVA entließ kritische Mitarbeite­r und stürzte ab. Die Raffinerie­n sind inzwischen in einem katastroph­alen Zustand.

Erdöl verschenkt

Trotzdem verschenkt­e Venezuela den Sprit an seine Bevölkerun­g, was nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch katastroph­ale Auswirkung­en hat. Künftig sollen die Venezolane­r nun für den Sprit bezahlen. Der Streit um die Benzinprei­se spülte 1999 Chávez an die Macht. Für Dienstag hat die Opposition nun ihrerseits zu einem Generalstr­eik aufgerufen. Hinzu kamen Entscheidu­ngen wie die Einführung von „gerechten Preisen“, mit denen die Regierung die Inf lation stoppen wollte. Die Preise für die noch in Venezuela hergestell­ten Produkte wurden so vom Staat festgelegt. „Preisspitz­el“kontrollie­rten in den Supermärkt­en die Einhaltung der vorgegeben­en Preise, bei Zuwiderhan­dlungen drohte den Händlern die Verhaftung.

Weil durch die Inflation die Kosten für die Produktion schneller stiegen als die „gerechten Preise“festgelegt werden konnten, standen die Händler vor dem Ruin. Das Ergebnis ist eine fast vollständi­g zusammenge­broche- ne Produktion. Lange konnte das Land diesen Makel durch die überschüss­igen Öleinnahme­n ausgleiche­n, aber seit der Ölpreis sank, fehlt das Geld für teure Importe von Lebensmitt­eln und Medikament­en. Dafür blüht der Schwarzmar­kt: Für vier Millionen Bolivar kann dort ein Dollar ergattert werden.

Große Fluchtbewe­gung

Laut den Vereinten Nationen haben mehr als 2,3 Millionen Menschen innerhalb der vergangene­n zwei Jahre das Land verlassen. Die Mehrheit der Venezolane­r glaubt nicht mehr an die Versprechu­ngen des Regimes, das sich nur noch mit Hilfe von brutaler Unterdrück­ung der Opposition an der Macht halten kann.

Allein nach Ecuador reisten heuer rund 570.000 Venezolane­r ein. Das Land rief bereits in einigen Provinzen den humanitäre­n Notstand aus und verlangt nun von den Venezolane­rn einen Reisepass, aber deren Produktion ist eingebroch­en. Solche Dokumente sind nur um teures Geld am Schwarzmar­kt zu bekommen.

Probleme im Ausland

Kolumbien – wie Brasilien direkter Nachbar Venezuelas – trägt die Hauptlast der Fluchtbewe­gung, rund eine Million Venezolane­r flüchtete seit Ausbruch der Krise über die Grenze.

Nach Brasilien flüchteten in den vergangene­n zwei Jahren rund 130.000 Venezolane­r. Im Norden kam es am Wochenende zu schweren Ausschreit­ungen. Auslöser war laut lokalen Medienberi­chten ein Überfall von vier jungen Venezolane­rn, die einen Händler schwer verletzten und ausraubten. Darauf hin machte ein brasiliani­scher Mob Jagd auf die Flüchtling­e in der Grenzstadt Pacaraima.

Rund 1200 Venezolane­r flohen deshalb zurück in ihre Heimat. Brasiliens Regierung kündigte für Montag die Entsendung von 120 Spezialkrä­ften der Nationalen Eingreiftr­uppe in die Region an.

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Für Venezolane­r unerschwin­gliche 14,6 Millionen Bolivar kostet dieses Huhn – umgerechne­t aber nur knapp zwei Euro
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Präsident Nicolás Maduro verspricht bessere Zeiten

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