Kurier

Zwischen Verehrung und Hass: Uri Avnery

Nachruf. Der Kriegsheld, Friedensak­tivist, Politiker und Journalist starb knapp vor 95. Geburtstag

- – NORBERT JESSEN, TEL AVIV

Für die Einen war er „der letzte Zionist“und Vorzeige-Israeli, für die Anderen ein Volksverrä­ter und IsraelHass­er. Eine widersprüc­hliche Persönlich­keit, doch kaum eine andere Person des öffentlich­en Lebens in Israel war so beständig. Als Kriegsheld wie als Friedensak­tivist, als Journalist wie als Politiker – Uri Avnery war ein Kämpfer. Er verstarb kurz vor seinem 95. Geburtstag am Montag in Tel Aviv.

Geboren als Helmut Ostermann 1923 im gutbürgerl­ichen Hause eines Börsenmakl­ers in Westfalen, flüchteten seine Eltern wenige Monate nach Hitlers Machtantri­tt nach Palästina. Der Aufstieg der Nazis beschäftig­te ihn ein Leben lang. Vor dem Eichmann-Prozess 1961 schrieb er das Buch „Das Hakenkreuz“, in dem er die Entwicklun­g in der Weimarer Republik mit Tendenzen in Israel verglich. Ohne Gleichsetz­ung, aber warnend. Sein Blick nach vorn auf den eigenen Staat und Frieden war immer auch ein Blick zurück.

„Mein Leben begann erst, als ich auf dem Einwandere­rschiff unser Land als Silberstre­if am Horizont sah.“Zionismus war für ihn das damals noch unerreicht­e Selbstbest­immungsrec­ht des jüdischen Volkes. Doch verlor dieser mit Gründung des Staates seine politische Bedeutung. Juden in Israel waren für Avnery Israelis. Zionist somit jemand, der in Israel lebte. Auch Nichtjuden.

Avnery schloss sich 1938 der Untergrund­bewegung Etzel an, aus der die Likud-Partei von Benjamin Netanjahu hervorging. Deren Ideologie vom einen Staat mit gleichbere­chtigten Arabern stand im Widerspruc­h zum heutigen Begriff Netanjahus der jüdischen Nation.

1947 zog es Avnery in den linken Untergrund. Im Krieg 1948 kämpfte er an vorderster Front und wurde schwer verwundet. Damals wurde er zum Vorkämpfer der ZweiStaate­n-Lösung. „Zwei so schrecklic­h nationalis­tische Völker würden sich in einem Staat das Leben zur Hölle machen.“Für ihn eine Verzichtsl­ösung – für beide.

„Ideologisc­h gesiegt“

Drei Mal war er Abgeordnet­er der Knesset. Der erste Politiker (und Journalist) Israels, der sich mit PLO-Vertretern traf und letztlich mit Yassir Arafat selbst. „So erfolglos ich politisch blieb“, sagte er einmal, „ideologisc­h habe ich auf ganzer Linie gesiegt.“Keine Partei, die heute nicht die ZweiStaate­n-Lösung zumindest formell akzeptiert.

Da ist noch ein unbeachtet­er Erfolg. Mit seiner Wochenzeit­ung HaOlam Haseh leistete er seinen größten Beitrag zur Geschichte Israels. Kaum ein bekannter Journalist Israels, der nicht durch seine Schule gegangen ist. Sie belauschte­n im Luftschach­t eine geheime Kabinettss­itzung. Sie sprachen zum ersten Mal die sozialen Probleme des jungen Staates an und deckten Korruption auf. Und Avnery veränderte das Hebräische – der nachhaltig­ste Sieg des Zionismus – mit immer neuen Wortschöpf­ungen und einer vereinfach­ten Grammatik.

 ??  ?? Uri Avnery war der erste israelisch­e Politiker, der Yassir Arafat traf
Uri Avnery war der erste israelisch­e Politiker, der Yassir Arafat traf

Newspapers in German

Newspapers from Austria