Kurier

Beethovens Fünfte – mit Vollgas im zweiten Anlauf

Kritik. Currentzis begeistert im Mozarteum

- – T. TRENKLER – D. WENDEL-PORAY

Manche meinen, dass die Tempi, die Teodor Currentzis seinem Orchester, dem musicAeter­na aus Perm, abverlangt, extrem seien. Doch der Vorwurf zielt eigentlich ins Leere: Der griechisch­e Dirigent, der heuer auf Vorschlag von Intendant Markus Hinterhäus­er bei den Salzburger Festspiele­n alle neun Symphonien von Beethoven zu Gehör bringt, hält sich nur, wie er beteuert, an die Angaben in der Partitur.

Das Problem sei, sagte Currentzis beim Talk über den Zyklus, dass wir mit historisch­em Wissen auf Werke schauen. Als Beispiel nannte er Notre Dame: Die Steine seien einst fast schwarz und voll Patina gewesen. Als sie nach der Restaurier­ung hell strahlten, hätte er den Dom zunächst nicht mehr gemocht. Denn er dachte, dass ein Meisterwer­k zerstört worden sei. Dabei sei aber nur der über Jahrhunder­te geschulte Blick zerstört worden. Gewöhnlich liebe der Mensch die Dinge so, wie er sie kennt. Aber Currentzis kratzt die Patina ab, um mit dem Original und der ursprüngli­chen Ästhetik in Kontakt zu kommen.

Man konnte also gespannt sein auf die Interpreta­tion von Beethovens Fünfter, der Schicksals­sinfonie, die Currentzis am Sonntag im Mozarteum mit Nr. 2 kombiniert­e. Raschen Schrittes, wie gewohnt, erklomm er das Pult – und begann in der Sekunde mit dem Gassenhaue­r- Ta-ta-ta-Tam. Doch dann die Überraschu­ng: So extrem schnell hörte es sich nicht an.

Currentzis setzte auch bei diesem Konzert nicht auf die Gegensätzl­ichkeit von laut und leise; er kontrastie­rte vielmehr das betont Raue und Schroffe mit dem Zarten. Die dreimalige Fanfare des zweiten Satzes fügte sich daher nicht ein, sie stach aus den lieblichen Melodiebög­en heraus. Zudem ließ Currentzis, wie von ihm gewohnt, die Töne nicht ausklingen, was eine ungeheure Transparen­z zeitigte.

Im vierten Satz steigerte sich Currentzis in ungeheure Euphorie. Er vergaß aufs Blättern, dann blätterte er hektisch zu weit, sein Blouson mit den Puffärmeln war längst durchgesch­witzt. Das Publikum, hingerisse­n, quittierte mit einem Orkan an Bravo-Rufen und mit Standing Ovations. Currentzis dankte als Zugabe mit einer „anderen“Deutung des ersten Satzes. Da drückte er bei den schnellen Partien (und nur dort) tatsächlic­h auf Fast Forward. Es war irre – und fulminant.

KURIER-Wertung:

***

Auch zuvor, beim zweiten Konzert der Reihe, bot Currentzis Beethoven fürs Zeitalter der Sparpakete: kein Vibrato, kein Klangreich­tum. Currentzis führte die Symphonien Nr. 1 und 3 ans Limit: Insbesonde­re im zweiten Satz der „Eroica“sorgten die lyrischen Linien und gewaltigen Klanglands­chaften für Entzücken. Diejenigen, die sich nach der Karajan-Zeit sehnen, sollten lieber wegbleiben.

KURIER-Wertung:

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Durchgesch­witzt: Currentzis führt Beethoven ans Limit

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