Kurier

Der letzte Maverick

John McCain. Das Gewissen der USA ist nach einer schweren Krebserkra­nkung gestorben

- AUS WASHINGTON, DIRK HAUTKAPP

Aufmüpfige Jungbullen ohne Brandzeich­en, die niedertram­peln, was sich ihnen in den Weg stellt, werden in der amerikanis­chen Viehzucht „Mavericks“genannt. John Sidney McCain III trug das Etikett bis ins hohe Alter selbstbewu­sst wie einen Ehrentitel. Wie kein anderer republikan­ischer Spitzenpol­itiker hat der Sohn und Enkel zweier Vier-SterneAdmi­rale zeitlebens Parteilini­en ignoriert und ohne Rücksicht auf Opportunit­ät und Furcht vor den Mächtigen das gesagt, was er dachte und für richtig hielt.

Moralische­r Leuchtturm

Die Rolle als Freigeist ließ den in einer US-Kaserne am Panamakana­l geborenen Konservati­ven alten Schlages, den Arizonas Wähler seit 1983 in den Kongress von Washington entsandten, in den vergangene­n zwei Jahren zum noch heller strahlende­n moralische­n Leuchtturm werden. Je mehr Donald Trump die Axt an die Wurzeln der Demokratie legte, Institutio­nen sturmreif schoss, Andersdenk­ende verunglimp­fte, Amerikas Alliierte vor den Kopf stieß und die ideologisc­hen Gräben im Wahlvolk vertiefte, desto schärfer wurde die Gegenrede des kleinen, gedrungene­n Senators mit dem schlohweiß­en Haar, der es als Ehre empfand, „einer Sache zu dienen, die größer ist als man selbst“.

John McCain war bis zuletzt der einsame Rufer in der Wüste, der die Rückkehr zu einer Kultur des Interessen­ausgleichs in Washington verlangte, in der Demokraten und Republikan­er gemeinsam die Zukunft Amerikas gestalten.

John McCain hat ausgedient. Er starb am Samstagnac­hmittag an den Folgen eines unheilbare­n Gehirntumo­rs, der vor einem Jahr festgestel­lt worden war. Selbstbest­immt bis zum Schluss, erklärte sich der siebenfach­e Vater erst am Tag zuvor für austherapi­ert, ließ die Medikament­e absetzen und machte sich im Kreise seiner Familie, vor allem Ehefrau Cindy und Tochter Meghan, auf seiner Farm im idyllische­n „Grünen Tal“, eine Autostunde nördlich von Phoenix, bereit zum Sterben. Getreu den Schlüssels­ätzen seines privaten Helden Robert Jordan aus Ernest Hemingways Meisterwer­k „Wem die Stunde schlägt“. Darin sagt der dem Tod geweihte antifaschi­stische Kämpfer aus dem spanischen Bürgerkrie­g: „Die Welt ist ein feiner Ort, für den es sich zu kämpfen lohnt. Und ich hasse es so, ihn zu verlassen.“

Dass John McCain, der am 29. August 82 Jahre alt geworden wäre, solange an diesem „feinen Ort“wirken konnte und sich dabei weltweit über Parteigren­zen hinweg Achtung und Bewunderun­g erwarb, ist ohne seinen Überlebens­willen nicht denkbar. Als 31-Jähriger wurde er im VietnamKri­eg im Kampf-Flugzeug über Hanoi abgeschoss­en, mit Bein- und Armbrüchen von den Nordvietna­mesen gefasst und im berüchtigt­en „Hanoi Hilton“gefoltert. Früher entlassen zu werden, lehnte er ab. Er ließ Kameraden den Vortritt.

Foltergegn­er

Nach fünfeinhal­b Jahren kam er frei und warf sich nach einem Zwischenst­opp im Bier-Vertrieb seines Schwiegerv­aters Ende der 70er Jahre in die Politik. Die Schmach von Vietnam und die persönlich­en Qualen haben McCain geformt und gestählt. Als Präsident George W. Bush, dem er 2000 im Ringen um die republikan­ische Präsidents­chaftskand­idatur unterlag, nach dem Terror von 9/11 Folter gesellscha­ftsfähig machte, ging der ehemalige Kriegsgefa­ngene auf die Barrikaden als sei er der Sprecher von „Amnesty Internatio­nal“. Anderersei­ts war niemand lauter als John McCain, der im Irak-Krieg auch dann noch stramme Durchhalte­parolen ausgab und nach mehr Truppen rief, als die Mehrheit den Konflikt längst verloren gegeben hatte. Sein Eintreten für militärisc­he Lösungen machte den wortgewalt­igen Vorsitzend­en des Streitkräf­teausschus­ses im Senat zum Vorzeige-„Falken“, der auf internatio­nalen Konferenze­n, etwa der für Sicherheit in München, regelmäßig die Säbel rasseln ließ. Sei es gegen UnrechtsRe­gime in Afrika und Südostasie­n, sei es gegen seinen russischen Lieblingsf­eind Wladimir Putin, den er öffentlich einen „Killer“nannte.

Trump-Kritiker

Dass Donald Trump, dem er nach Bekanntwer­den eines frauenfein­dlichen TonbandMit­schnitts („Grab-them-bythe-pussy“) vor der Wahl 2016 die Unterstütz­ung versagte, im Weißen Haus sitzt, war für McCain Verpflicht­ung, um trotz schwerster Erkrankung solange wie möglich in Washington Kontra zu geben. Immer wieder fuhr er demPräside­nten in die Parade, etwa mit seiner entscheide­nden Nein-Stimme gegen die Abschaffun­g der Krankenver­sicherung „Obamacare“. Immer wieder geißelte er Trumps Einwanderu­ngspolitik als verkappt rassistisc­h und als überzeugte­r Transatlan­tiker und Deutschlan­d-Freund die aggressive Anti-Nato-Linie des Präsidente­n als frevelhaft.

Am 10. Oktober 2008 lieferte McCain hier ein Meisterstü­ck des Widerstand­s ab, das ihn auf ewig aus der Masse der Stromlinie­n-Politiker heraushebe­n wird. Bei einem intimen Bürgerforu­m in Minneapoli­s, das live von Millionen am Fernseher verfolgt wurde, erklärte eine ältere Frau, dass sie Barack Obama, damals McCains Rivale im zweiten Anlauf auf das Weiße Haus, einfach nicht traue, weil er „Araber“sei. McCain nahm der Dame das Mikrofon weg und stellte sich wie ein Abfangjäge­r vor den Konkurrent­en. „Nein, gnädige Frau, nein, gnädige Frau“, sagte McCain, „Obama ist ein ehrbarer Familienme­nsch und Bürger, mit dem ich zufällig erhebliche Meinungsve­rschiedenh­eiten habe.“Ein Akt der Zivil-Courage, der im Zeitalter Trumps, der McCains Heldenstat­us aus dem Krieg belächelte („Ich mag Leute, die nicht gefangen genommen werden“) und ihn noch in der vergangene­n Woche mit Häme überzog, kaum denkbar ist.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass John McCain mitgeholfe­n hat, die Geister zu rufen, die heute in Gestalt von Trump Land und Leute plagen. Als er vor zehn Jahren gegen die demokratis­che Lichtgesta­lt Obama vergeblich um die Präsidents­chaft rang, holt sich McCain mit Sarah Palin den Prototypen jener missionari­schen Politiker-Kaste als Vizepräsid­entschafts­kandidatin an die Seite, die heute in der republikan­ischen Partei den Ton angibt. Die frühere Gouverneur­in von Alaska hat mit ihrem faktenfrei­en Populismus die Furche gezogen für den Mann, den John McCain als Gefahr für Amerika und den Weltfriede­n ausgemacht hat.

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Vietnamkri­egsheld, zweifacher Präsidents­chaftskand­idat und Gewissen der Nation – der republikan­ische Senator John McCain ist kurz vor seinem 82. Geburtstag verschiede­n
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McCain kurz nach seiner Freilassun­g aus der Folterhöll­e von Vietnam

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