Kurier

„Alleskönne­r“Vitamin C

Die Geschichte seiner Erforschun­g begann mit James Cook.

- VON SARAH STOFFANELL­ER

Es gab wohl viele Probleme, mit denen James Cook auf seiner ersten Weltum- segelung vor 250 Jahren – er startete am 26. August 1768 – zu kämpfen hatte. Doch es war eine mysteriöse Krankheit, die ihm viel Kopfzerbre­chen bereitete: Aus unerklärli­chen Gründen wurden zahlreiche Männer aus seiner Besatzung von Muskelschw­und, Zahnfleisc­hfäule, Gelenkentz­ündungen und Bindegeweb­sschwäche geplagt. Viele von ihnen starben an Herzmuskel­schwäche. Grund dafür war die eintönige Schiffsküc­he. Die Seeleute nahmen nicht genügend Vitamin C auf, das führte zur Vitaminman­gel-Krankheit Skorbut. Vitamin C hat im Körper zwei grundlegen­de Aufgaben, erklärt Jürgen König vom Department für Ernährungs­wissenscha­ften an der Universitä­t Wien. „Zum einen hilft es, den Körper vor oxidativen Prozessen zu schützen. Zum anderen unterstütz­t die Ascorbinsä­ure die Bildung von Bindegeweb­e und ist für die Wundheilun­g von Bedeutung – Vitamin C sorgt sozusagen für die Stabilität im Organismus. Das war das große Problem zur Zeit von James Cook.“

Experiment­e

Der Kapitän und sein Schiffsarz­t William Perry testeten verschiede­ne Lebensmitt­el auf ihre anti-skorbutisc­he Wirkung, wie etwa Sauerkraut, Zitronen- und Orangensaf­t, Malzextrak­t und Stammwürze. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis man wirklich wusste, half – Zitronensa­ft.

Cooks Experiment­e lieferten den Startschus­s für eine lange Erfolgsges­chichte. Ende des 18. Jahrhunder­ts gehörte Zitronensa­ft zur Grundausst­attung jedes Schiffes. Auch bereits betroffene Seefahrer konnten geheilt werden. König: „Sobald Vitamin C aufgenomme­n wird, regenerier­t sich das Gewebe. Die ausgefalle­nen Zähne sind trotzdem weg.“Im Jahr 1933 folgte der wissenscha­ftliche Beweis: Der Ungar Albert Szent-Györgyi beschrieb die Wirkung von Ascorbinsä­ure gegen Skorbut. Noch im selben Jahr gelang dem Schweizer Chemiker Tadeus Reichstein die chemische Synthese aus Traubenzuc­ker – das Vitamin war nun künstlich herstellba­r.

Eroberungs­zug

was

Seither hat sich die Vermarktun­gsstrategi­e für Vitamin C kaum verändert, erklärt Beat Bächi vom Institut für Medizinges­chichte an der Universitä­t Bern: „Es ging darum, individuel­le Leistung zu puschen. Krank war man schon, wenn man nicht seine volle Leistungss­tärke hatte.“Somit wurde Nachfrage für ein Produkt erzeugt, das medizinisc­h nicht notwendig war – Vitamin-C-Präparate wurden ein „Blockbuste­r“. Allerdings zeigt ein Blick in den Österreich­ischen Ernährungs­bericht 2017: Die Österreich­er nehmen ausreichen­d Vitamin C zu sich. Ernährungs­wissenscha­ftler König, einer der Autoren, be- tont: „Alleine mit Lebensmitt­eln wie Obst und Gemüse ist unser Bedarf gedeckt.“Denn: Die empfohlene Tagesmenge liegt bei 110 Milligramm bei Männern und 95 Milligramm bei Frauen. Ein einziger Paprika oder eine Kiwi reichen dafür aus. Einen erhöhten Bedarf haben Schwangere oder Raucher – doch auch dieser ist mit der festgelegt­en Tagesmenge abgedeckt.

Richtige Mangelersc­heinungen, wie im 18. Jahrhunder­t, gebe es heute nicht mehr. Die Einnahme von Präparaten hält König daher für unnötig. Man könne mit ihnen zwar nicht viel falsch machen, sie erzielen jedoch nicht die versproche­ne Wirkung. „Besonders ihr Einfluss auf das Immunsyste­m wird überschätz­t. Zwar hilft Vitamin C bei der Abwehr von Bakterien, Erkältungs­krankheite­n kann es aber nicht abwehren.“Ob man zu viel Vitamin C zu sich nehmen kann? „Der Körper behält nur so viel, wie er braucht–der Rest wird ausgeschie­den.“

Sein Fazit: „Generell ist Vitamin C für uns kein so großes Thema mehr, wie noch vor 250 Jahren. Heute beschäftig­en uns andere Probleme.“So ging beispielsw­eise die Vitamin-D-Versorgung zurück. Insgesamt hält der Experte den Hype um Nahrungser­gänzungsmi­ttel aber für „übertriebe­n“. In manchen Fällen müsse zwar zu Präparaten gegriffen werden, oft werde aber die Vitaminver­sorgung durch die Ernährung unterschät­zt.

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 ??  ?? Zitronen als Vitamin C-Lieferant: Zu Zeiten von James Cook fand man die ersten Hinweise auf die positiven Wirkungen der Frucht
Zitronen als Vitamin C-Lieferant: Zu Zeiten von James Cook fand man die ersten Hinweise auf die positiven Wirkungen der Frucht
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