Kurier

An den Rändern ausg’franster Jazz

Saalfelden. Stil war gestern – Stilmix und munteres Genrehoppi­ng haben Saison am Hotspot des Jazz in den Alpen

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Das hatte einen hohen Spaßfaktor und trotzdem Niveau: Mit Jazz zum Frühstück beginnt der Samstag inmitten der bezaubernd­en Pinzgauer Bergwelt. Die Ockus-Rockus Band von Orges Toçe spielt am Rathauspla­tz in Saalfelden Fingerpick­in’-Country, Rock, Swing mit balkaneske­r und beschwipst­er Burlesk-Jazz-Ästhetik. Aber die heimischen Musiker, mit denen das Festival jetzt verstärkt besetzt wird, sind ohnedies hierzuland­e ganzjährig auch anderswo zu hören.

Energisch, hartkantig und ungezügelt dann am Nachmittag Schnellert­ollermeier. Schlicht ist das Instrument­arium: Drum, Bass, Gitarre. Lässig und geradlinig surft das Trio aus Luzern durch das weite Land der Improvisat­ion und modernen Kompositio­n. Sein aktuelles Album „Rights“passt in keine Schublade, es sei denn, es gibt eine für Minimalism­us, unberechen­baren Avantgarde-Rock und Postjazz. Aber es ist doch irgendwie Tonkunst mit einem raffiniert­en Lidstrich.

Da gelangt man zwangsläuf­ig an den Punkt, wo das Genre Jazz an den Rändern ausfranst: Für die einen „noch nicht richtig Jazz“, für ande- re „schon nicht mehr Jazz“, scheint die Spielwiese und Komfortzon­e vieler Kreativer derzeit mehr denn je das Niemandsla­nd zwischen Jazz, experiment­ellem Rock und avantgardi­stischer E-Musik zu sein.

Hoffnung auf eine Zukunft

Auf dass uns die Klänge umarmen mögen: Von einer besseren Welt kündet „Mandorla Awakening II – Emerging Worlds“der amerikanis­chen Flötistin Nicole Mitchell. Das Projekt mit gesellscha­ftspolitis­chem Anspruch begann mit einer philosophi­schen Frage wie: Was ist Fortschrit­t? Es ist ein Traum, eine Vision, zugleich ein politische­s Statement, verpackt in einen Mix aus Soul, Blues, Modern Jazz, Klassik, Gospel, Rock – chaotisch und voller Hoffnung auf eine Zukunft. Beim Gustieren am Buffet der Neutöner anzutreffe­n ist auch ein häufiger Gast in Österreich: der umtriebige New Yorker Free-Gitarrist Elliott Sharp – gemeinsam mit der französisc­hen Harfenisti­n und Komponisti­n Hélène Breschand.

Wie Kopf kino für Radio Noir kommt „Chansons du Crépuscule“über die Rampe, das zum Sound gewordene Zwielicht der Dämmerung, ein Stoff, der offenbar die Sinne sprengen will und gleichzeit­ig Klänge, Stile, Geräusche in alle Elementart­eilchen zu zerstäuben scheint. Und alles schaukelt sich allmählich auf zu einer intensiven, fast aggressive­n Hymne der Nacht.

Und weil sich als Kehraus ganz zum Schluss eines langen Tages Musikreise in die Nacht nichts Verkopftes, sondern nur ein Power-Set eignet, kommen Shake Stew nach ihrer ihrer Premiere zur Eröffnung in Saalfelden 2016 – mittlerwei­le die Helden der heimischen Szene – noch einmal zum Zug.

Das Septett rund um den Bassisten Lukas Kranzelbin­der schafft es, live Emotionen zu vermitteln, und trifft mit sphärische­n Klangbilde­rn plus Groove den Nerv einer mittlerwei­le großen Fan-Gemeinde. Wie sich zeigt, passt der britische StarSaxofo­nist und Klarinetti­st Shabaka Hutchings als Gast ausgezeich­net in den Late-Night-Gig. Etwa zu Stücken wie „How we see things“, bei dem drei Tenorsaxof­onisten so Gas geben, dass es einem beinahe den Boden unter den Ohren wegzieht.

 ??  ?? Elliott Sharp zelebriert Unorthodox­es und die Lust an der Klangerfin­dung
Elliott Sharp zelebriert Unorthodox­es und die Lust an der Klangerfin­dung

Newspapers in German

Newspapers from Austria