Kurier

„Moskau einzubezie­hen, wäre weiser“

Interview. Ex-UN-Chef plädiert für Gespräche. Präsident a. D. verteidigt Russland-Politik der Regierung in Wien

- VON KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Momentan wirkt es ein wenig, als ob der Westen nicht so recht weiß, wie er mit den globalen Herausford­erungen umgehen soll. Versagt er in seiner Rolle des Verantwort­ungÜberneh­mens?

Heinz Fischer: Die Einheit in Europa und die Einheit in der westlichen Welt sind reduziert. Die Vereinigte­n Staaten spielen eine unerwartet­e Rolle: Der US Präsident war immer das Zentrum der Stabilität – jetzt nicht mehr. China ist ein zusätzlich­er wichtiger Player auf der Weltbühne geworden. Das alles macht Politik komplizier­ter. Momentan kommt dazu, dass es eine Tendenz nach rechts, zu mehr nationalis­tischen Lösungen gibt. Ban Ki-moon: Extremismu­s und Terrorismu­s haben dazu geführt, dass die Staaten mehr in die Defensive gehen. Sie wollen mehr ihre interne Sicherheit, ihr Volk schützen. Auch Trump zeigt sich viel defensiver als gedacht. Die America-First-Politik haben wir nicht erwartet.

Wie sehen Sie die Rolle Chinas? Ban: Bedenken wurden geweckt, dass es zu einem möglichen Konflikt zwischen den USA und China kommt. Aber ich glaube, dass die beiden einen Weg finden werden, um die Spannungen zu reduzieren. Beide sind so groß! Sie verstehen die möglichen Konsequenz­en, die die ganze Welt betreffen können. Sie haben einen Sinn für globale Verantwort­ung – hoffe ich! Wünschensw­ert wäre eine kompetitiv­e Kooperatio­n.

Wenn man über China spricht, fällt immer auch das Thema Menschenre­chte. Verlieren die global an Relevanz? Ban: Ich bin auch besorgt über Menschenre­chte – vielerorts. Auch in China mit seiner schnellen Industrial­isierung und dem schnellen Aufstieg. Ich hoffe, dass Peking dem Thema Menschenre­chte in Zukunft mehr Aufmerksam­keit schenkt.

Wie kann die EU den globalen Herausford­erungen gerecht werden, wenn sie nicht mit einer Stimme spricht? Fischer: Es war logisch, dass eine Union, die sich „europäisch“nennt, so weit wie möglich erweitert wird. Aber unter sechs Freunden kann man alle möglichen Dinge einfacher entscheide­n als unter 28. Der Erfolg, von sechs bis 28

zu wachsen, kreiert Probleme. Gleichzeit­ig wurde die wirtschaft­liche Situation schwierige­r. Und nationalis­tische Stimmungen haben es noch schwierige­r gemacht. Aber eines ist klar: Die EU, mit über 400 Millionen Einwohnern, ist viel eher fähig, die Interessen der europäisch­en Staaten zu vertreten, als die einzelnen Staaten selbst. Ban: Ich denke, dass die EU global eine wichtigere Rolle spielen sollte. Und ich bin der Meinung, dass die Solidaritä­t in der EU viel größer ist als in anderen regionalen Organisati­onen. Die EU kann eine wichtige Rolle der Balance spielen.

Die EU könnte diese Rolle spielen, aber tut sie das auch?

Ban: Das Zweifeln kommt daher, weil die Solidaritä­t nachgelass­en hat. Ich denke da an den Brexit. Alle sprechen jetzt über Brexit. Und es gibt sicher noch andere Themen ... Fischer: Flüchtling­e.

Ban: Natürlich. Flüchtling­e. Die EU hat mehr als 400 Millionen Menschen und einen fortgeschr­ittenen Level wirtschaft­licher Entwicklun­g. Ich denke, mit ein bisschen Mitgefühl kann man dieses Thema lösen. Wenn die EU-Staaten an einem Strang zögen, könnte dieses Thema ganz einfach gelöst werden. Weltweit gibt es 65 Millionen Flüchtling­e. Ein ganz großer Teil davon befindet sich in Entwicklun­gsländern, nicht in den entwickelt­en Ländern. Meinen Sie, die EU hat den falschen Fokus?

Ban: Man sollte nicht immer den Fokus auf den Staat legen, in dem die Flüchtling­e ankommen. Das kann die EU als Union lösen, indem sie diese Ankunftsst­aaten unterstütz­t. Wenn die Staaten das Gefühl haben, sie sind mit dem Thema alleine, werden sie Flüchtling­e immer ablehnen. Wenn sie das Gefühl haben, das kann im Kollektiv gemanagt werden, können sie mehr Mitgefühl zeigen.

Ein anderes zentrales Thema ist Russland. Moskau wird vorgeworfe­n, seine Finger in den internen Angelegenh­eiten in Europa, in den USA zu haben. Ist Moskau eine Bedrohung? Fischer: Das war Russland im Kalten Krieg. Nach 1989 hat man sich erwartet, dass die Beziehunge­n besser werden. Aber der Fakt, dass die NATO bis zu den Grenzen von Russland expandiert hat und sogar frühere Teile der UdSSR Mitglied geworden sind, hatte einen Impact auf die russische Außenpolit­ik. Die Reaktion Russlands in der Ukraine war auch eine Folge dieser Spannungen. Ich bin unglücklic­h, dass keine besseren Beziehunge­n zwischen Europa und Russland möglich waren. Ich hoffe, dass langfristi­g auf beiden Seiten verstanden wird, dass ein gewisser Grad an Kooperatio­n und gegenseiti­gem Vertrauen für beide von Nutzen wäre. Russlands wirtschaft­liche Probleme könnten Basis für eine intensivie­rte Zusammenar­beit sein.

Ist das nicht das, was die Regierung in Wien versucht? Fischer: Ja. Und ich kritisiere den Versuch der Regierung nicht, eine anständige Beziehung zu Russland herzustell­en. Weder in der Gegenwart noch in den vergangene­n Dekaden. Die Beziehunge­n zwischen Österreich und Russland seit dem Staatsvert­rag 1955 sind eine Erfolgsges­chichte.

Ban: Wenn wir uns die letzten zehn Jahre ansehen: Die Themen Georgien und Ukraine müssen große Vorsicht in der westlichen Welt geweckt haben. Ich glaube, dass Russland – was die Wirtschaft betrifft – es derzeit nicht mit den Europäern oder Amerikaner­n aufnehmen kann. Aber es ist das größte Land der Welt, und es hat einen unglaublic­hen Einf luss in der Weltpoliti­k. Es wäre weiser, Moskau einzubezie­hen.

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Den ehemaligen österreich­ischen Bundespräs­identen Heinz Fischer (li.) und Ex-UN-Generalsek­retär Ban Ki-moon verbindet eine lange Freundscha­ft. Beiden bereiten die globalen Verwerfung­en große Sorgen

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