Warum der Rechtsextremismus in Sachsen besonders verbreitet ist
Chemnitz. Wieder zogen rechte Recken durch die Stadt, randalierten und machten Jagd auf Migranten.
Attacken auf Flüchtlingsheime, Männer, die Hunde auf Migranten hetzen – wenn solche Schlagzeilen aus Sachsen kommen, überrascht das wenig. Dass sich am Sonntag aber binnen Stunden mehr als 800 Menschen beim Chemnitzer Stadtfest einfanden, dort randalierten, Migranten jagten und beschimpften, wie Videos zeigen, ließ die Polizei aufschrecken. Das Fest wurde abgebrochen, die Stadt glich einer Kampfzone, berichteten Augenzeugen. Montagabend marschierten erneut Rechtsextreme auf, einige Tausend Menschen kamen zu einer Gegendemo. Es gab mehrere Verletzte.
Hintergrund: In der Nacht auf Sonntag war es in Chemnitz zu einer Messerstecherei gekommen, ein 35Jähriger deutsch-kubanischer Herkunft starb. Noch bevor die Polizei auf klären konnte (mittlerweile wurden ein 23-jähriger Syrer und ein 22-jähriger Iraker festgenommen), machten im Internet Gerüchte die Runde, etwa über ein zweites Todesopfer, was die Polizei strikt zurückwies. Doch da war es schon zu spät, die Hetze lief auf allen Kanälen: Die AfD-Chemnitz rief zur Demo auf, ebenso rechte Hooligan-Gruppen.
Unterschätzte Szene
150 bis 200 Menschen gehören in Chemnitz laut Verfassungsschutz der rechtsextremen Szene an. Vor einem Jahr versuchten sie einen Stadtteil zu besetzen. Trotz zivilgesellschaftlicher Initiativen bzw. Arbeit durch den Verfassungsschutz fühlen sich Rechtsextreme in Sachsen offenbar wohl – doch wie entstand dieser politische Nährboden eigentlich? Die Szene wurde in der Vergangenheit stark unterschätzt, erklärt Hans Vorländer, Direktor des Zentrums für Verfassungsund Demokratieforschung an der TU Dresden, im Gespräch mit dem KURIER. Er erinnert an das Zitat des ehemaligen Landeschefs Kurt Biedenkopf (CDU), wonach Sachsen immun gegen Rechtsextremismus sei. „Eine völlige Fehleinschätzung“. Das Grundproblem bestand schon in der Endphase der DDR, erklärt der Politologe. „Skinhead-Bewegungen im Umfeld von FußballVereinen, die lange unterdrückt wurden, beachtete man nicht mehr. Doch durch das Vakuum an Autorität, den Zusammenbruch der alten Ordnung ist eine Leere eingetreten – genau da sind sie hineingestoßen.“
Besonders erfolgreich waren sie in Ostsachsen: „Es gab wenig Arbeitsplätze, kaum Zivilgesellschaft und keine demokratischen Parteien, die vor Ort gearbeitet haben.“Dort ging auch die NPD hinein, baute eine Struktur auf, sprach vor allem junge Männer an, die keine Vereine hatten. 2004 schaffte es die Partei in den Landtag, 2014 f log sie raus – bis auf ein paar harte Mitglieder verlief der Übergang zur AfD fließend, so Vorländer.
Die Rechtspopulisten sitzen der sächsischen Regierung im Nacken, bei der Landtagswahl 2019 könnten sie stimmenstärkste Partei werden. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der die Randale nach anfänglichem Zögern verurteilte, („Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen.“) setzt auf einen Balanceakt mit der AfD. Viel Kritik erntete er, als er das Vorgehen der Polizei bei einer Pegida-Demo verteidigte: Beamte hielten ein ZDF- Kamerateam fest, zuvor wurde es von einem Demonstranten, der LKA-Beamter war, angepöbelt. Zwar entschuldigte sich Sachsens Polizeichef, doch beim Schutz der Pressefreiheit ortet Experte Vorländer noch Auf holbedarf. Ebenso bei politischer Bildung und Auf klärung: Das müsse in den Fußballvereinen passieren, in Zusammenarbeit mit Fanbetreuern und Sozialarbeitern, aber auch in Schulen – „etwa mit Demokratieerziehung.“