Kurier

Armut, die das Leben bereichert

Kunst. Das Salzburger Museum der Moderne würdigt Marisa Merz – noch bis 4.11.

- VON MICHAEL HUBER

Auf der Venedig-Biennale 2013 wurde Marisa Merz gemeinsam mit Maria Lassnig für ihr Lebenswerk ausgezeich­net. Während die österreich­ische Malerin damals schon zu schwach war, um in die Lagunensta­dt zu reisen – sie starb elf Monate später – , konnte Merz ihren Goldenen Löwen noch selbst in Empfang nehmen: Es war eine späte Würdigung dafür, dass sie, die lange im Schatten ihres Mannes Mario gestanden hatte, die Kunstricht­ung der sogenannte­n „Arte Povera“stärker mitgeprägt hatte, als es der männerdomi­nierte Betrieb wahrhaben wollte.

Im Salzburger Museum der Moderne amMönchsbe­rg lässt sich nun das Werk der Turiner Künstlerin in umfassende­r Form entdecken. Die Retrospekt­ive, die 2017 bereits im New Yorker Met Museum sowie im Hammer Museum Los Angeles zu sehen war, markiert zugleich das Ende der Leitungspe­riode von Sabine Breitwiese­r – mit September übernimmt der Deutsche Thorsten Sadowsky im Museum das Ruder.

Spät gewürdigt

Der Schlusspun­kt ist passend gesetzt – wird Breitwiese­r in Salzburg doch stark damit in Erinnerung bleiben, dass sie Künstlerin­nen der 1960er- und 70er-Jahre zu späten, aber umfassende­n Ehren kommen ließ. Während die Protagonis­tinnen bisheriger MdM-Retrospekt­iven – Simone Forti oder Carolee Schneemann, Charlotte Moorman oder Ana Mendieta – allesamt der New Yorker Kunstszene entstammte­n, ist Merz’ Karriere jedoch untrennbar mit Europa und speziell mit Italien verbunden.

In der Küche ihrer Turiner Wohnung fügte Merz 1966 aus dicker Alu-Folie ein schlauchar­tiges Gebilde zusammen, das bald wie ein glitzernde­s Ungeheuer immer weiter in den Raum wu- cherte. „Living Sculpture“, lebende Skulptur, nannte Merz das Werk, das sie bereits 1967 in einer Einzelauss­tellung präsentier­te.

Das fragile Ding, das nun am Ende des verkehrt chronologi­schen Ausstellun­gsrundgang­s von der Decke hängt, lässt einige Abnutzungs­spuren erkennen, die wohl davon erzählen, dass das Werk in der Küche, aber auch in einem Nachtclub präsentier­t worden war. Merz sah das künstleris­che Schaf- fen nie als abgehoben vom restlichen Leben an – das alltäglich­e Nähen und Werken, das die Künstlerin auch in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau praktizier­te, lag für sie auf einer Ebene mit dem Zeichnen und Formen von Porträtköp­fen oder der Installati­on wundersame­r Objekte aus Kupferdräh­ten, Holzrahmen und Wachs.

Derart unedle, „arme“Materialie­n waren es, die der „Arte Povera“ihren Namen gaben. Während der vom Kritiker Germano Celant geprägte Begriff einen Siegeszug durch Galerien und Institutio­nen antrat, entwickelt­e Marisa Merz ihr Werk beharrlich weiter: Zu hauchzart aus Nylon und Draht gehäkelten Schuhen und Fahnen gesellten sich dabei Gemälde und Instrument­e.

Poesie in Wort und Bild

Auch wenn sich Motive und Materialie­n im Werk öfters wiederhole­n, lässt sich Merz kein „Markenzeic­hen“aufdrücken. Dass sie auch Gedichte schrieb, die im Museum nun – anstelle von langen Erklärtext­en – einen stimmigen Rahmen für die luftig präsentier­ten Objekte bilden, weist nur auf den ungebroche­nen Schaffensd­rang der Künstlerin hin. Die Gelegenhei­t, sich eine Welt zu kreieren, schien für Merz immer greif bar. Die Ausstellun­g vermittelt diese in vielerlei Hinsicht reiche Lebenseins­tellung auf inspiriere­nde Art und Weise.

 ??  ?? Die „Living Sculpture“(Mitte) entstand 1966 in Marisa Merz’ Küche. Die Schaukel (links) baute sie 1968 für ihre Tochter Beatrice („Bea“, siehe auch Schriftzug rechts)
Die „Living Sculpture“(Mitte) entstand 1966 in Marisa Merz’ Küche. Die Schaukel (links) baute sie 1968 für ihre Tochter Beatrice („Bea“, siehe auch Schriftzug rechts)
 ??  ?? „Scarpette“heißen Merz’ aus Nylon oder Draht gewebte Schuhe
„Scarpette“heißen Merz’ aus Nylon oder Draht gewebte Schuhe

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