Seit Jahrhunderten umkämpft
Halbinsel Krim. Einst waren es das Zarenreich und die Osmanenherrscher, heute sind es Russland und die Ukraine. Auf die Halbinsel im Schwarzen Meer erheben seit Jahrhunderten die verschiedensten Mächte Anspruch und fechten blutige Kriege um sie aus.
Überzeugende Erklärungen dafür sind bis heute rar. Im Mai 1954 fällte Nikita Chruschtschow, Chef der Kommunistischen Partei und damit de facto mächtigster Mann der Sowjetunion, scheinbar völlig überraschend einen historischen Entschluss. Die Halbinsel Krim sollte in Zukunft Teil der Ukraine sein, sie wurde also von der russischen Sowjetrepublik auf die ukrainische Sowjetrepublik übertragen.
Ein Schritt, der zu diesem Zeitpunkt zwar hauptsächlich symbolische Bedeutung hatte – das sowjetische Riesenreich wurde ohnehin weitgehend zentral von Moskau aus verwaltet –, doch die war dafür umso größer. Schließlich war die Krim zuvor fast 200 Jahre Teil Russlands gewesen, galt mit ihren Stränden und ihrer reichen Kultur nicht nur als „Riviera des Ostens“, sondern auch als Region, für die Generationen von russischen Helden gekämpft hatten und gestorben waren. Die Militärfestung Sewastopol auf der Krim wurde in der russischen Mythologie als quasi uneinnehmbar gehandelt, wenn das auch nicht wirklich stimmte.
Tatsächlich hatte Sewastopol im Krimkrieg, Mitte des 19. Jahrhunderts, als die europäischen Großmächte Großbritannien und Frankreich ihre Truppen ins Schwarze Meer geschickt hatten, monatelange Belagerungen erlebt und war dabei völlig zerstört worden. Im Zweiten Weltkrieg, als die deutsche Wehrmacht die Krim besetzte, hielt Sewastopol ebenfalls monatelang stand. Die Scharfschützin Ljudmila Pawlit- schenko, die dort aushielt und Dutzende deutsche Soldaten tötete, wurde von der sowjetischen Propaganda zur Heldin der Sowjetunion gemacht.
Trotzdem blieb Chruschtschows Geschenk an die Ukraine weitgehend unbeachtet und ein Rätsel. Laut Zeitzeugen soll Chruschtschow schon während des Zweiten Weltkrieges – damals Parteichef in der Ukraine – die Halbinsel von Stalin gefordert haben, im Austausch gegen ukrainische Arbeitskräfte zum Wiederauf bau Russlands. Als Chruschtschow schließlich nach Stalins Tod an die Macht kam, erfüllte er sich einfach selbst den Wunsch.
40 Jahre nach dieser seltsamen Schenkung begann die Krim zum Konfliktfall zu werden. Die Sowjetunion war zerfallen, die Ukraine selbstständig und Russ- land begann sich Sorgen um seine auf der Krim stationierte Flotte zu machen.
Außerdem machte sich jetzt die von Moskau gnadenlos betriebene Russifizierung der Krim bemerkbar. Stalin hatte die seit Jahrhunderten dort verwurzelte Bevölkerung der Krimtataren zu Hunderttausenden deportieren lassen. Auch die Deutschen, Griechen und Bulgaren, die einst Katharina die Große als Bauern und Handwerker geholt hatte, wurden nun einfach unter grauenhaften Umständen ausgesiedelt.
Auf der Krim, die seit der Antike ein Schnitt- und Konfliktpunkt der unterschiedlichsten Kulturen gewesen war, dominierten jetzt tatsächlich russische Sprache, Kultur und das russisch-orthodoxe Christentum. Die Mehrheit der Bevölkerung fühlte sich inzwi- schen unweigerlich mehr Russland zugehörig als der Ukraine. Die Regierung in Kiew gab der Halbinsel weitgehende Autonomie, holte zumindest einen Teil der einst deportierten Tataren in ihre alte Heimat zurück.
Der Konflikt aber war bestenfalls vorübergehend beruhigt. Als in der Ukraine 2014 die russlandfreundliche Regierung stürzte, machte Moskau endgültig ernst. Die „Rückholung der Krim“begann. Wenige Monate und ein umstrittenes Referendum später war sie wieder Teil Russlands, wenn auch bis heute nicht international anerkannt. Chruschtschows seltsames Geschenk wurde zurückerstattet. Wie einst die russische Zarin Katharina kann jetzt Zar Putin die Krim als Trophäe seiner erfolgreichen Machtpolitik vorführen.