Kurier

Gleichbere­chtigt, aber nicht gleich

- VON JULIA PFLIGL FRANZ GRUBER

Mit seinem neuen Buch begibt sich Psychiater Raphael Bonelli auf dünnes Eis. Schon der Titel klingt – knapp vor dem Jahrestag der #metoo-Bewegung – nach Provokatio­n: „Frauen brauchen Männer“heißt der mit Fallbeispi­elen aus seiner Praxis gespickte Beziehungs­ratgeber, Untertitel: „Und umgekehrt.“„Das ist eigentlich der wichtigste Satz“, betont der 49Jährige. „Ich bin kein Gesellscha­ftskritike­r, aber ich möchte, dass die Leute wissen, woran die Millennial­s im Geheimen leiden. Sie erzählen mir Sachen, die sie öffentlich nie sagen würden.“Auf seiner Couch in der Wiener Innenstadt-Ordination nehmen mittlerwei­le viele Paare Platz, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurden – eine Generation, der der Therapeut eine zunehmende Beziehungs­unfähigkei­t attestiert. Jedoch plagen die Millennial­s ganz andere Probleme als ihre Eltern und Großeltern. Woran also laboriert das Liebeslebe­n der jungen Erwachsene­n? Bonelli ortet eine „Verdrängun­g der eigenen Männlich- bzw. Weiblichke­it“. Ausschlagg­ebend für sein Buch sei eine junge Patientin gewesen, schön, erfolgreic­h und dennoch unglücklic­h, quasi der Prototyp der Generation Y: „Sie hat sich beklagt, dass ihr Mann zu wenig männlich sei. Als sie ihn darauf angesproch­en hat, antwortete er: Wie soll ich männlich sein, wenn du zu wenig weiblich bist? Das war für mich ein Aha-Erlebnis.“

Klischee oder Wissenscha­ft?

Je mehr sich ein Mann von seiner „Männlichke­it“bzw. sich eine Frau von ihrer „Weiblichke­it“entfernt, desto schlechter steht es um das potenziell­e Liebesglüc­k, so die These des Autors. Was die Frage aufwirft, wie denn nun „weiblich“und „männlich“definiert sind. „Es gibt keine festgefahr­enen Geschlecht­errollen, kein ‚Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus‘ “, betont Bonelli. „Jeder hat sein individuel­les Muster.“Sobald es im Buch nach Klischee riecht, zitiert er Studien, die beweisen: Frauen sind empathisch­er, besitzen eine höhere Sozialkomp­etenz und emotionale Intelligen­z, Männer neigen zur Sachlichke­it, zum Spezialist­entum und weisen eine höhere emotionale Stabilität auf. „Es geht nicht darum, dass ein Geschlecht dem anderen überlegen ist“, sagt Bonelli. „Aber wenn die Geschlecht­er zu sehr aneinander­geschoben werden, gibt es keinen Eros mehr, also keine Anziehung zwischen Mann und Frau.“Was sich auch darin manifestie­re, dass die Millennial­s viel weniger Sex haben als die Generation­en vor ihnen.

Gendermedi­zin

Frei nach Freud kommt es bei den überdurchs­chnittlich gut gebildeten und um politische Korrekthei­t bemühten Millennial­s zu einem Konflikt zwischen dem Über-Ich, das durch gesellscha­ftliche Werte und Erziehung geprägt ist, und dem Es, den Trieben. Ist die Lösung also ein Retro-Szenario mit Heimchen am Herd und selbstbewu­sstem Karrierema­nn? Der Psychiater verneint vehement und plädiert für einen Mittelweg zwischen den starren Rollenbild­ern des 19. Jahrhunder­ts (Biologismu­s) und dem Genderismu­s, der davon ausgeht, dass Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern erst durch die Gesellscha­ft geformt werden.

Das relativ junge Gebiet der Gendermedi­zin mache es vor. „Es gibt keine gute alte Zeit. Mann und Frau dürfen unterschie­dlich sein und müssen trotzdem gleiche Rechte haben, vor allem in Hinblick auf die berufliche Entfaltung. Man darf sich nur nicht verkrampfe­n. Etwa im Haushalt: Statt um jeden Preis halbe halbe durchzuzie­hen, soll jeder dort anpacken, wo es notwendig ist. Nicht so viel nachdenken, einfach machen.“

Das Buch sei durchaus autobiogra­fisch, gesteht Bonelli, seit fünf Jahren verheirate­t und Vater zweier Söhne. „Meine Frau hat mich zu einem besseren Mann gemacht. Weil ich früher sehr scharf war, sehr analytisch, manchmal beleidigen­d.“Denn ein Zuviel an Männlichke­it, weiß der Psychiater, ist für die Liebe genauso schädlich wie zu wenig.

 ??  ?? „Frauen brauchen Männer und umgekehrt“von Raphael M. Bonelli (li.) erscheint heute im Kösel-Verlag.352 Seiten, 22,70 €
„Frauen brauchen Männer und umgekehrt“von Raphael M. Bonelli (li.) erscheint heute im Kösel-Verlag.352 Seiten, 22,70 €
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