Der Gustl und sein ehrenwertes Haus
Ein Jahr Stieglerhaus. In seiner steirischen Heimat realisierte der Schauspieler August Schmölzer (60) einen Traum. Ein altes Gebäude wurde zum Ort der Kunst, Kultur und des Miteinanders. Bald ist Jubiläum.
Die Polizei. Die Post. Das Gasthaus. Alles weg. „Schade“, sagt der Gustl, „denn es fehlt hier nun an Begegnungsstätten, wo Menschen miteinander reden können.“
Also hat sich der Gustl für seinen Heimatort St. Stefan ob Stainz in der Weststeiermark etwas einfallen lassen. August Schmölzer, der Schauspieler, den alle Gustl nennen, weil er hier geboren wurde und in einer Bauernfamilie aufwuchs, beschloss, das desolate Stieglerhaus umzubauen. „Es sollte ein Ort des Miteinanders, des Dialogs, der Kunst, Kultur und Bildung werden“, erzählt er.
Gemeinsam mit der Juristin Daniela Majer und dem Steuerberater Lukas Zeinler gründete der Schauspieler die gemeinnützige Privatstiftung Stieglerhaus (siehe Kasten). Ein Jahr lang wurde das Gebäude samt Garten renoviert, mit Bedacht auf den Originalzustand, im Herbst 2017 schließlich eröffnet. Kommenden Samstag findet das erste Jahresfest statt.
Ort der Begegnung
Die Sonne sticht, der Himmel ist beinahe wolkenlos. Im Garten fallen schon die ersten Äpfel von den Bäumen. Draußen glüht das Holz der mehrstufigen Terrasse, drinnen ist es kühl. August Schmölzer steht im Veranstaltungssaal des Stieglerhauses und spricht über dessen Geschichte. „Genau hier befand sich einst der Verkaufsraum des Kauf hauses, in dem es vom Nagel zur Hose alles gab.“Heute ist da der hochmoderne MultimediaSaal, in den knapp 130 Menschen passen. Das Herzstück des Projekts.
Schmölzer führt durch das alte Gemäuer: Die hellen Räume riechen noch neu, der Parkettboden glänzt. Hier musizieren Menschen, spielen Theater, singen, tanzen, erleben und leben Kunst und Kreativität. Regelmäßig finden Lesungen, Kurse, Konzerte, Vorträge und Weinverkostungen statt. Alles Gelegenheiten, um miteinander zu reden – als Alternative zum Stammtisch, an dem oft Probleme gewälzt und manchmal gelöst wurden.
Etwas bewirken
August Schmölzer wirkt zufrieden. Schließlich ist das Projekt die logische Weiterentwicklung seiner „Gustl58. Initiative für Herzensbildung“, die bedürftige Menschen finanziell unterstützt hat. Etwas davon steckt auch im Stieglerhaus, aber in transformierter Form. „Nach zehn Jahren war klar, dass sich etwas verändern muss. Geld sammeln und es weitergeben, ist eine Sache. Aber was bewirkt es bei den Menschen, denen geholfen wurde? Was bewirkt es in der Gesellschaft?“Schmölzer geht es um den Gedankenanstoß ohne erhobenen Zeigefinger: „Wir arbeiten nicht mehr des Verteilens willen, sondern wir wollen eine Form von Bildung bieten, ohne überheblich zu sein. Ich will niemanden missionieren, ich fange lieber bei mir selbst an.“Es sei ein Erkennen, im besten Kant’schen Sinne: „Ein Erkennen des Miteinanders, eines ,Meine Grenze endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt’. All diese kleinen Dinge, die so wichtig geworden sind, in unserer Zeit“, sagt Schmölzer.
An dieser Stelle fällt sein Lieblingsbegriff, die Herzensbildung. Ein scheinbar altmodisches Wort, in dem aber „so vieles steckt, und aus dem sich jeder was rausholen kann. Die einen verstehen darunter Mitgefühl, andere Barmherzigkeit.“Oder aber die Fähigkeit, in den viel zitierten „Schuhen des anderen“zu gehen: „Mein älterer Bruder war im Rahmen der Flüchtlingskrise für das Rote Kreuz in Spielfeld an der Grenze. Er hat gesehen, wie Kinder über den Zaun geschmissen wurden, damit sie überleben und ins neue Land kommen können. Er hat erlebt, wie eine Frau mit ihren schreienden, schmutzigen Kindern vor ihm kniete und sich auf ihre Sprache bedankte. Wer so etwas einmal selbst gespürt hat, kann doch nur sagen: Da ist ein Mensch, ich möchte helfen.“Umso dringlicher sei es für ihn, im Sinne des europäischen Gedankens auf humaner Basis zusammenzuhelfen. Es muss wieder und wieder diskutiert werden, um Lösungen zu finden. Zäune zu bauen, ist keine Lösung.“
Aufmachen, Öffnen also – und Mut, beziehungsweise
Ermutigung. Auch darum geht’s im Stieglerhaus. „Um den Mut, angstfrei, ohne Druck seitens der Politik oder Kirche, über alles reden zu können. Unser Angebot hat mit Offenheit und Respekt zu tun“, sagt Schmölzer. Die Kunst verstehe sich dabei als verbindendes Element. Sie will zu Nachdenkprozessen anregen – und zu Gesprächen darüber.
Für alle da
Schmölzer zeigt auf eine Tafel an der Mauer des Stieglerhauses, die als Mahnung und in Erinnerung an die von Nationalsozialisten verfolgten Menschen der Region gewidmet ist. „Obwohl in der Gegend Gott sei Dank nie ein Todesopfer zu beklagen war, ging es um ein Zeichen. Es sind dann auch Menschen weinend gekommen, haben sich dafür bedankt und Dinge erzählt, über die sie öffentlich nie sprechen würden. Das freut mich, denn es zeigt, dass es eine andere Seite gibt, jenseits der Verdrängung.“
Schmölzer ist es wichtig, niemanden auszugrenzen, das Haus ist für alle da. „Wir laden Menschen ein, vorbeizuschauen, reinzukommen. Dann trinken wir ein Achterl und reden. Das verändert etwas, diese Person geht anders raus. Auch, weil sie merkt, hier wird kein Unterschied gemacht. Jeder wird ernst genommen. Und plötzlich befindet man sich im Diskurs und Denkprozess.“
Das macht den Gustl wirklich zuversichtlich: „Weil ein Mensch, der denkt und sich seines Daseins bewusst ist, wahrscheinlich nicht so schnell bereit ist, zuzuschlagen.“