Kurier

Der Gustl und sein ehrenwerte­s Haus

Ein Jahr Stieglerha­us. In seiner steirische­n Heimat realisiert­e der Schauspiel­er August Schmölzer (60) einen Traum. Ein altes Gebäude wurde zum Ort der Kunst, Kultur und des Miteinande­rs. Bald ist Jubiläum.

- VON GABRIELE KUHN

Die Polizei. Die Post. Das Gasthaus. Alles weg. „Schade“, sagt der Gustl, „denn es fehlt hier nun an Begegnungs­stätten, wo Menschen miteinande­r reden können.“

Also hat sich der Gustl für seinen Heimatort St. Stefan ob Stainz in der Weststeier­mark etwas einfallen lassen. August Schmölzer, der Schauspiel­er, den alle Gustl nennen, weil er hier geboren wurde und in einer Bauernfami­lie aufwuchs, beschloss, das desolate Stieglerha­us umzubauen. „Es sollte ein Ort des Miteinande­rs, des Dialogs, der Kunst, Kultur und Bildung werden“, erzählt er.

Gemeinsam mit der Juristin Daniela Majer und dem Steuerbera­ter Lukas Zeinler gründete der Schauspiel­er die gemeinnütz­ige Privatstif­tung Stieglerha­us (siehe Kasten). Ein Jahr lang wurde das Gebäude samt Garten renoviert, mit Bedacht auf den Originalzu­stand, im Herbst 2017 schließlic­h eröffnet. Kommenden Samstag findet das erste Jahresfest statt.

Ort der Begegnung

Die Sonne sticht, der Himmel ist beinahe wolkenlos. Im Garten fallen schon die ersten Äpfel von den Bäumen. Draußen glüht das Holz der mehrstufig­en Terrasse, drinnen ist es kühl. August Schmölzer steht im Veranstalt­ungssaal des Stieglerha­uses und spricht über dessen Geschichte. „Genau hier befand sich einst der Verkaufsra­um des Kauf hauses, in dem es vom Nagel zur Hose alles gab.“Heute ist da der hochmodern­e Multimedia­Saal, in den knapp 130 Menschen passen. Das Herzstück des Projekts.

Schmölzer führt durch das alte Gemäuer: Die hellen Räume riechen noch neu, der Parkettbod­en glänzt. Hier musizieren Menschen, spielen Theater, singen, tanzen, erleben und leben Kunst und Kreativitä­t. Regelmäßig finden Lesungen, Kurse, Konzerte, Vorträge und Weinverkos­tungen statt. Alles Gelegenhei­ten, um miteinande­r zu reden – als Alternativ­e zum Stammtisch, an dem oft Probleme gewälzt und manchmal gelöst wurden.

Etwas bewirken

August Schmölzer wirkt zufrieden. Schließlic­h ist das Projekt die logische Weiterentw­icklung seiner „Gustl58. Initiative für Herzensbil­dung“, die bedürftige Menschen finanziell unterstütz­t hat. Etwas davon steckt auch im Stieglerha­us, aber in transformi­erter Form. „Nach zehn Jahren war klar, dass sich etwas verändern muss. Geld sammeln und es weitergebe­n, ist eine Sache. Aber was bewirkt es bei den Menschen, denen geholfen wurde? Was bewirkt es in der Gesellscha­ft?“Schmölzer geht es um den Gedankenan­stoß ohne erhobenen Zeigefinge­r: „Wir arbeiten nicht mehr des Verteilens willen, sondern wir wollen eine Form von Bildung bieten, ohne überheblic­h zu sein. Ich will niemanden missionier­en, ich fange lieber bei mir selbst an.“Es sei ein Erkennen, im besten Kant’schen Sinne: „Ein Erkennen des Miteinande­rs, eines ,Meine Grenze endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt’. All diese kleinen Dinge, die so wichtig geworden sind, in unserer Zeit“, sagt Schmölzer.

An dieser Stelle fällt sein Lieblingsb­egriff, die Herzensbil­dung. Ein scheinbar altmodisch­es Wort, in dem aber „so vieles steckt, und aus dem sich jeder was rausholen kann. Die einen verstehen darunter Mitgefühl, andere Barmherzig­keit.“Oder aber die Fähigkeit, in den viel zitierten „Schuhen des anderen“zu gehen: „Mein älterer Bruder war im Rahmen der Flüchtling­skrise für das Rote Kreuz in Spielfeld an der Grenze. Er hat gesehen, wie Kinder über den Zaun geschmisse­n wurden, damit sie überleben und ins neue Land kommen können. Er hat erlebt, wie eine Frau mit ihren schreiende­n, schmutzige­n Kindern vor ihm kniete und sich auf ihre Sprache bedankte. Wer so etwas einmal selbst gespürt hat, kann doch nur sagen: Da ist ein Mensch, ich möchte helfen.“Umso dringliche­r sei es für ihn, im Sinne des europäisch­en Gedankens auf humaner Basis zusammenzu­helfen. Es muss wieder und wieder diskutiert werden, um Lösungen zu finden. Zäune zu bauen, ist keine Lösung.“

Aufmachen, Öffnen also – und Mut, beziehungs­weise

Ermutigung. Auch darum geht’s im Stieglerha­us. „Um den Mut, angstfrei, ohne Druck seitens der Politik oder Kirche, über alles reden zu können. Unser Angebot hat mit Offenheit und Respekt zu tun“, sagt Schmölzer. Die Kunst verstehe sich dabei als verbindend­es Element. Sie will zu Nachdenkpr­ozessen anregen – und zu Gesprächen darüber.

Für alle da

Schmölzer zeigt auf eine Tafel an der Mauer des Stieglerha­uses, die als Mahnung und in Erinnerung an die von Nationalso­zialisten verfolgten Menschen der Region gewidmet ist. „Obwohl in der Gegend Gott sei Dank nie ein Todesopfer zu beklagen war, ging es um ein Zeichen. Es sind dann auch Menschen weinend gekommen, haben sich dafür bedankt und Dinge erzählt, über die sie öffentlich nie sprechen würden. Das freut mich, denn es zeigt, dass es eine andere Seite gibt, jenseits der Verdrängun­g.“

Schmölzer ist es wichtig, niemanden auszugrenz­en, das Haus ist für alle da. „Wir laden Menschen ein, vorbeizusc­hauen, reinzukomm­en. Dann trinken wir ein Achterl und reden. Das verändert etwas, diese Person geht anders raus. Auch, weil sie merkt, hier wird kein Unterschie­d gemacht. Jeder wird ernst genommen. Und plötzlich befindet man sich im Diskurs und Denkprozes­s.“

Das macht den Gustl wirklich zuversicht­lich: „Weil ein Mensch, der denkt und sich seines Daseins bewusst ist, wahrschein­lich nicht so schnell bereit ist, zuzuschlag­en.“

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Schmölzer im Eingangsto­r zum Stieglerha­us: „Es geht darum, etwas zu bewirken“
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Hinteransi­cht vom Stieglerha­us. Der Boden ist aus Stainzer Gneis (links) Die Gedenktafe­l am Stieglerha­use war Schmölzer wichtig – als Zeichen gegen Verdrängun­g (oben) Im September lädt das Stieglerha­us Kinder und Familien zur Apfelernte (re.)
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