Boehringer kauft Tiroler Firma
Krebsforschung in Österreich. 210 Millionen Euro für Biotech-Spezialisten ViraTherapeutics
Der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim stärkt mit einer weiteren Großinvestition den Forschungsstandort Österreich. Für 210 Millionen Euro übernimmt Boehringer 100 Prozent am Tiroler BiotechUnternehmen ViraTherapeutics. Das 2013 aus der Universität Innsbruck ausgegliederte Start-up hat sich auf virusbasierte Krebstherapien spezialisiert und verfolgt hier vielversprechende Ansätze. Mit Viren können Krebszellen angreif bar gemacht und damit zerstört werden. Am Standort in Innsbruck sind derzeit 19 Forscher beschäftigt.
Die Akquisition erfolgt über den Boehringer Ingelheim Venture Fonds, der sich weltweit an innovativen Start-ups im Pharmaumfeld beteiligt. 22 junge Unternehmen sind derzeit im Portfolio.
Größtes Investment
„Wir sind stolz, dass gerade ein österreichisches Unternehmen die bisher größte Investition des Fonds wird“, sagt Philipp von Lattorff, Generaldirektor von Boehringer Ingelheim RCV Wien, im Gespräch mit dem KURIER. „Das Unternehmen passt sehr gut zu unserem Krebsengagement hier in Österreich, es ergänzt unsere bestehenden Forschungsprojekte im Bereich Immun- Boehringer-Ingelheim- Chef onkologie.“Boehringer fokussiert sich vor allem auf die Behandlung von Lungensowie Magen-Darm-Krebs. Wien ist das Zentrum für Krebsforschung innerhalb des Konzerns. ViraTherapeutics wird als eigenständige Einheit in die Forschungsorganisation eingegliedert und soll in Innsbruck stationiert bleiben. „Unser Ziel ist es, eine Krebstherapie so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen, um sie für die Patien- ten verfügbar zu machen“, so der Boehringer-Chef.
Forschung und Entwicklung nicht nur selbst zu betreiben, sondern Know-how von außen zuzukaufen, ist in der Pharmabranche bereits länger üblich. Vor allem USKonzerne wie Pfizer verfolgen diese Strategie. Boehringer hingegen setzte bisher stets auf Eigenforschung, die nunmehrige Öffnung sei ein „Kulturwandel“, erläutert Lattorff. „Wir waren erzkonservativ in der Forschung, haben alles selbst gemacht. Aber das hat sich geändert. Wir sind jetzt f lexibler und öffnen uns auch für externe Forscher.“
Ausbau in Wien
Am Boehringer-Standort in Wien-Meidling sind die Bauarbeiten für die neue biopharmazeutische Produktionsanlage sowie weitere Firmengebäude voll im Gange. Ein eigener Schnellbahn-Abgang ist schon fertig. Wie berichtet, werden rund 500 Mio. Euro für die Standorterweiterung in die Hand genommen, die Fertigstellung ist für den Herbst 2021 geplant. „Die ersten 200 zusätzlichen Mitarbeiter wurden bereits eingestellt“, berichtet Lattorff. Die meisten stammen aus dem Raum Wien. Weitere 300 Jobs sind noch zu vergeben. Gesucht werden primär Fachkräfte mit naturwissenschaftlichem Hintergrund wie Biologie, Chemie oder Biochemie. Bewerber gibt es genug, von einem Fachkräftemangel, wie ihn andere Firmen derzeit beklagen, ist beim Pharmakonzern bisher nichts zu spüren.
12-Stunden-Tag
Mit dem neuen Arbeitszeitgesetz zeigt sich Lattorff zufrieden. „Als Geschäftsführer bin ich vor allem froh über die Entkriminalisierung. Man stand man ja in punkto Arbeitszeit immer mit einem Fuß im Kriminal.“Speziell in der Forschung könne ein Versuch mitunter länger dauern, und es mache keinen Sinn, alles zusammenzupacken, um es am nächsten Tag wieder für eine Stunde auszupacken. Da es im Haus bestehende Betriebsvereinbarungen bezüglich f lexiblere Arbeitszeiten gibt, werde sich für die Mitarbeiter nicht viel ändern. „Ich möchte gar nicht, dass jetzt alle 12 Stunden arbeiten, das würde mich viel zu viel Geld kosten.“Aktuell beschäftigt Boehringer in Wien rund 1500 Mitarbeiter und trägt die Geschäftsverantwortung für weitere 30 Länder Mittel- und Osteuropas. Das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten wie Thomapyrin oder Buscopan ging im Vorjahr an Sanofi, 320 Mitarbeiter wechselten zu den Franzosen. Boehringer übernahm dafür das wachstumsstarke Geschäft mit Tiermedizin, wo Österreich nur Vertriebsagenden hat.
„Wir waren erzkonservativ in der Forschung, haben alles selbst gemacht. Das hat sich geändert.“Philipp von Lattorff