Wenn man erst nach Jahren die
Seltene Erkrankungen. Aufgrund ihrer Seltenheit sind sie zu wenig erforscht, bei vielen Diagnosen gibt es keine Therapie. Top-Experten diskutierten über Lösungsmöglichkeiten für die komplexe Problematik
Rund 400.000 Menschen in Österreich leiden unter einer der seltenen Erkrankungen, für die es – eben aufgrund ihrer Seltenheit – großteils keine spezifischen Arzneimittel gibt, und die wenigen existierenden Medikamente befinden sich meist im hohen Preissegment. Eine renommierte Expertenrunde diskutierte daher in Alpbach beim Gipfelgespräch „Seltene Erkrankungen – komplexe Herausforderungen brauchen neue Lösungen“darüber, wie die Betreuung von Patienten mit seltenen Erkrankungen verbessert werden soll.
Schwierige Diagnose
„Die Probleme beginnen schon bei der Diagnose , stellt Fritz Scheiflinger fest, „denn bei manchen Erkrankten vergehen vier bis acht Jahre, bis es die richtige Diagnose gibt“.
„Von seltenen Erkrankungen sehen wir in ein bis drei Jahren einen einzigen Fall“, bestätigt Erwin Rebhandl, „doch wir müssen generell in der Früherkennung besser werden“. Zur Unterstützung der raschen, korrekten Diagnostik stehe Allgemeinmedizinern in Österreich auch eine elektronische Datenbank mit Krankheitsbildern zur Verfügung.
Eine frühe Diagnose sei für Betroffene neben medizinischen Aspekten auch psychisch sehr wichtig, erklärt Dominique Sturz, „weil man dem Feind ja besser ins Auge schauen kann, wenn man ihn kennt“.
Doch viele Patienten befinden sich nach langem, bangem Warten auch mit ihrer Diagnose in einer dramatischen Lage. Bis dato gibt es nämlich für 95 Prozent der seltenen Erkrankungen keine zur Behandlung zugelassenen Arzneimittel (sogenannte Orphan Drugs – siehe auch den Artikel auf der gegenüberliegenden Seite). „Eine unbefriedigende Situation“nennt es Wolfgang Schnitzel. Für nur fünf Prozent der Erkrankten bestehe „aber in Österreich grundsätzlich ein gutes System mit frühem Zugang zur Therapie“.
Das Thema seltene Erkrankungen zeige eine Schwäche des bestehenden Finanzierungs- und Kooperationssystems in unserer Gesundheitsversorgung, stellt Alexander Biach fest. Dabei wären bei besserer Abstimmung und Planung eine gemeinsame Finanzierung sehr teurer Medikamente sowie Diagnosen und Behandlungen auch in internationalen Zentren möglich. Dies sei zwar keine Lösung, aber immerhin ein Schritt in die rich- tige Richtung, sagt Biach.
Die auf unserer Verfassung beruhende KompetenzStreuung in Bund, Länder und Sozialversicherungen, wo alle ihre eigenen Angebote und Zentren haben, sei daher in den letzten Jahren in eine gemeinsame Planung und Zielsteuerung geführt worden, erklärt Biach.
„Weltweit gesehen ist es für einzelne Staaten gar nicht möglich, das Problem der seltenen Erkrankungen alleine zu lösen“, stellt Till Voigtländer fest, „für Forschung und Therapie ist internationale Kooperation unerlässlich“.
In der EU wurden seit 2017 Referenz-Netzwerke und Expertisezentren initiiert, doch „manche Mitgliedsstaaten haben sehr viele Zentren mit Netzwerken, die aber nichts auf die dafür vorhandenen Datenbanken stellen“, sagt Voigtländer.
Österreich habe den „Nationalen Aktionsplan für seltene Erkrankungen“erstellt, welcher unzählige, genau definierte Maßnahmen enthalte, für deren Umsetzung der Zeitrahmen 2014 bis 2018 angegeben sei, erinnert Martina Anditsch. Unter anderem gemeinsame Finanzierungsstrukturen von Bund und Ländern sowie Kooperationen mit Pharmafirmen. Vieles sei aber noch nicht umgesetzt. „Der Aktionsplan enthält so viele tolle Ansätze, treten wir doch in Aktion!“, appelliert Anditsch.
Kostenfrage
Ein gravierendes Problem sei die Ablehnung ärztlich verordneter Arzneimittel durch Krankenhausträger und Krankenkassen, sagt Daniela Karall. „Kranke Menschen müssen von Behörde zu Behörde laufen und sich dann auch noch sagen lassen, dass sie wahnsinnig teure Patienten sind.“In Oberösterreich habe man dies durch Kostenaufteilung zwischen Krankenhausträgern und Gebietskrankenkasse gelöst, berichtet Gernot Idinger. Und Edgar Starz erinnert daran, dass die Sozialversicherung zirka ein Drittel der Arzneimittel- kosten der KAGes-Spitäler (Steiermärkische Krankenanstaltenges.m.b.H) übernimmt. Hilfreich wäre es bei der Budgetplanung, fügt Starz hinzu, wenn beim Einreichen für die Zulassung von Orphan Drugs der Behörde bereits Prognosen über die jährlichen Therapiekosten vorliegen würden.
Zulassung
„Wir sind froh, dass wir uns bei der Bewertung für die Zulassung auf wissenschaftliche Daten stützen können und nicht den ökonomischen Aspekt mitbewerten“, erwidert Christa Wirthumer-Hoche. Die Frage, ob sich das Gesundheitssystem ein Produkt leisten könne, sei wichtig, aber die Zulassung müsse davon frei bleiben.
Ungelöste Kostenprobleme bestehen auch im Bereich der psychosozialen Versorgung der Patienten. Während im stationären Bereich psychologische Betreuung gang und gäbe sei, werde sie im niedergelassenen Bereich nicht mitfinanziert, kritisiert Marion Kronberger.
Medizinische Versorgung allein bedeute nicht, dass es den Patienten gut gehe, sagt Caroline Culen. Darüber hinaus sei in vielen Fällen auch psychologische Betreuung für die Angehörigen vonnöten.
Diese Serie findet in Zusammenarbeit mit Peri Human, aber in völliger redaktioneller Freiheit statt.