Der Kampf um ein Kulturgut
Einst beliebt, geraten die Fiaker immer mehr in Kritik
SchauplatzWienerCity.
Aneinem der letzten richtig heißen Sommertage. Die Mittagssonne knallt aufdenStephansplatz. Inmittender Touristen und der Geschäftsleute haben sich Unterstützer des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) zum Protest eingefunden. Sie tragen TShirts mit erschöpft aussehenden Pferden und sammeln Unterschriften für ihre neue Petition „Pferde raus aus der Stadt“. Denn: „Es ist eine Sünde!“, ruft eine ältere VGTAktivistin, deutet mit dem Zeigefinger verächtlich links neben den Dom. Wo die Fiaker unter ihren Melonen schwitzen und die Pferde auf die nächsten Runde warten.
Auslauf in Arbesthal
Am gleichen Tag, 32 Kilometer südöstlich, sitzt Fiaker-Unternehmer Johann Paul im nieder österreichischen Arbesthal au feinem Bankerl an die Stallwand gelehnt. Vor ihm erstrecken sich 10,5 Hektar Weide fläche für jene seiner Pferde, die neu zu ihm kommen oder auf Urlaub sind. Per Gesetz dürfenFiak er-Pferde 18 Tage im Monat arbeiten, müssen inder Woche an zwei nicht aneinander folgenden Tagen freihaben. Zusätzlich stehen ihnen im Jahr fünf Wochen Urlaub zu.
Johann Paul betreibt den größten der insgesamt 26 Wiener Fiaker-Betriebe und ist der einzige mit Lizenz für den Schlosspark Schönbrunn.
Er ist im Stall groß geworden. Sein Vaterwa reiner der stadtbe kannten Unikate :„ Wenn er am Platz erschienen ist, haben alle das Putztuch genommen und ihre Kutsche poliert. Egal, ob sie zum Paul gehört haben oder nicht“, heißt es.
Johann Pauls Schreibtisch in seinem Büro in Wien-Simmering hängt ein vergrößerte Fotografie von seinem Vater und seinem Bruder alskl einer Bub amFiak er. An der Wand gegenüber ist Johann Paul selbst am Kutschbock zu sehen. Mit ihm in der Kutsche: Prince Charles und Lady Di. Denn es war Johann Paul, der die beiden während ihres Wien-Besuches 1986 durch die Stadt kutschieren durfte.
Damals, als er mit seinen Kollegen um vier in der Früh im Stall stand, um die Pferde fertig zu machen und sie nach dem Abendessen noch einmal nach den Tieren gese- hen haben, bevor es bis ein Uhr früh in die Disco ging, um um vier Uhr früh wieder im Stall zu sein.
Die Vorwürfe
Nun sitzt Johann Paul in Arbesthal über sein Handy gebeugt. Am Display läuft ein Video der VGTDemonstration. Johann Paul, ein großer Mann mit sanften Augen, schüttelt den Kopf. Er hält sich gern zurück, lässtseineStälle, seinePferde, für sich sprechen, zeigt auf die MuskelpartienderTiere, denklaren Blick, das freundliche Ohrenspiel, die großen sauberen Boxen, die Koppeln hier in Arbesthal.
Aber wenn ihm und seiner Branche Tierquälerei vorgeworfen wird, bricht es aus ihm heraus: „Hier werfen uns Leute, die keine Ahnung haben, Sachen vor, die nicht stimmen. Sie suchen keinen Dialog. Wir sagen: ,Kommt’s zu uns, macht euch ein Bild vor Ort.‘ Aber: Keine Reaktion. Und mittlerweile sind ihre Kampagnen existenzbedrohend.“
Existenzbedrohend. Dieses Wort nimmt auch Fiakerin und Unternehmerin Martina Michelfeit-Stockinger bei der Führung durch ihre Stallungen in der ehemaligen Freudenauer Chamottefabrik (Chamotte bezeichnet feuerfeste Steine) in den Mund.„Früher, dawarmahaltnoch wer. Da waren die Leute stolz auf uns. Aber heute? Heute wer’ma sogar von Kindern am Straßenrand als Tierquäler beschimpft.“
Es ist eine Grundsatz diskussion: Kann die Arbeit mit dem Menschen fürPferdegutsein? Nein, sagtDavid Fenzl vom VGT: „Tieren geht es gut, wenn sie in Freiheit in Ruhe leben können .„ Früher hat man auch behauptet, dass den Wild tieren im Zirkus die Arbeit Spaß macht .“
Dem gegenübersteht das„ Ja“der Fiaker. Pferde brauchen viel Bewegung, sie seien Gewohnheitstiere, haben gerne denselben Ablauf, klaÜber
re Regeln, Beschäftigung. Und, sagen die Fiaker: „Wir verbringen mehr Zeit mit ihnen als mit den meistenMenschen. Wirwissen, was ihnen guttut, ihnen gefällt. Warum sollten wir ihnen etwas Schlechtes wollen?“
Kein Pferd kollabiert
Was sagen Unparteiische? „Wenn alletierschutzrechtlichenVorgaben eingehaltenwerden, stelltArbeitfür die Pferde keine übermäßige Belastungdar“, sagtAmtstierärztinKathrin Deckardt von der MA 60 (Veterinärdienste und Tierschutz). Zudem kennt ihre Behörde keine Fälle, bei denenPferdeaufGrundeinesKreislaufproblems zusammengebrochen wären. Und bei den Stallkontrollen würden nur geringe Mängel in Bezug auf die Unterbringung der Pferde (beschädigte Boxenwand) oder der Hufpflege (abgelaufene Hufbeschlagsperiode) festgestellt.
Diese Argumente beeindrucken den VGT nicht. „Selbst wenn es nur ein paar schwarze Schafe gibt“, sagt DavidFenzl,„istesunslieber, esgibt überhaupt keine Kutschen, als ein paar Pferde, die leiden müssen.“
Für die Petition „Pferde raus aus derStadt“hatderVGTinkurzerZeit knapp 1000 Unterschriften gesammelt. SiewurdeindenPetitionsausschuss aufgenommen. Nun werden Stellungnahmen eingeholt, am 7. November wird diskutiert.
Was ist also die Fiakerei? Tierleid oder Beschäftigungstherapie?
FürLeopoldPingitzer, Redakteur bei dem Portal ProPferd, liegt die Wahrheit „irgendwo dazwischen“. Natürlich brauchen Pferde in der Stadt Beschäftigung. Erhalten sie nicht genug Auslauf, wird ihnen langweilig und dann bekommen sie Verhaltensstörungen. Dass Pferde ohneFiakerfreiundwildherumlaufen könnten, hält Pingitzer für eine schwärmerische Vorstellung: „Dafür gibt es in Mitteleuropa keinen Platz. Wenn Pferde keine Aufgabe hätten, würden sie verschwinden.“
Aber natürlich müssen sich die FiakerumdasWohlderPferdekümmern. Diesbezüglich sei in den vergangenen Jahren viel geschehen. Manches fehle aber noch, etwa überdachte Standplätze. „Die Wiener Fiaker haben zu lange ignoriert, dass sich das gesellschaftliche Bewusstsein geändert hat“, sagt er.
Die Fiaker in Salzburg haben das schlauer gemacht, sie handeln in jüngster Zeit verstärkt proaktiv. Am Der Anfang
Der allererste Standplatz für Lohnkutschen in Europa befand sich Ende des 17. Jahrhunderts in der Rue de Saint Fiacre in Paris. 1693 wurde dann in Wien die erste Fiaker-Lizenz erteilt. Die nummerierten Kutschen lösten die davor unnummerierten Janschky-Wagen ab.
Um 1700 soll es um die 700 Fiaker in Wien gegeben haben. In den besten Zeiten, zwischen 1860 und 1900, waren es dann sogar mehr als 1000 Fiaker.
Die Regeln
1998 wurde in Wien die Fahrdienstprüfung für Fiakerinnen und Fiaker eingeführt. Seit 1. Juli 2004 sind in Wien sogenannte Pooh-Bags verpflichtend, die die Äpfel der Pferde auffangen und so die Verschmutzung der Straße verhindern sollen. Seit 2016 bekommen Fiakerpferde an Tagen mit mehr als 35 Tag hitzefrei. Derzeit testet die MA 28 zudem neue HufeisenVarianten. Der derzeitige Beschlag beschädigt die Straßen der Innenstadt. 31. Juli erklärten sie etwa, dass sie ihren Pferden am nächsten Tag freigeben würden, obwohl nicht sicher war, obes35Gradhabenwürde. Sie setzten gemeinsam ein Zeichen.
Zusammenhalt fehlt
Warum das in Wien nicht passiert? „Wissen’S“, sagt Fiaker Andreas Horvath während seiner Mittagspause im Xcelsior, einem Lokal gegenüber des Stephansdoms, „als ich vor 30 Jahren begonnen hab, ham die Fiaker am Stephansplatz zusammen 15 Jahr Stein ghabt (ein umgangssprachlicher Ausdruck für Haftstrafen, Anm.) Das waren Bücha und Gauner, aber es gab einen Ehrenkodex, wirhabenzusammengehalten. Heute machst du dir was aus, und kaum drehst dich um, haut dich einer übers Ohr.“
Aber es sei halt nicht einfach, ergänzt Martina Michelfeit-Stockinger. Der Druck von außen sei nicht ohne Folgen, jeder wolle nur sein Überleben sichern. „Das verhindert, dass wir uns gemeinsam weiterentwickeln.“
Obwohl: In der jüngsten Zeit bewegt sich doch etwas. Zwei Gastronomen bringen frischen Wind ins Geschäft (siehe links). Zudem gibt es die neue überparteiliche Initiative „Pro Fiaker Kultur“, ins Leben gerufen von Werner Kaizar, Pressesprecher des FPÖ-Vizebürgermeisters Dominik Nepp.
Glauben die Fiaker an ihre Zukunft? „Ich glaub schon“, sagt Michelfeit-Stockinger: „Die Frage ist nur wie. Die Touristen wünschen sich weiße Cinderella-Wagen aus Walt Disney. Das hat halt mit Tradition wenig zu tun. Aber ja, wenn es sich die Kundschaft eben wünscht.“Wie das Fiakerlied entstanden ist, lesen Sie auf der nächsten Seite Anzeigen der Stadt nach Stall und Standplatzkontrollen tierschutzrelevante Straßenverkehrsordnung Anzeigen
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