Kurier

Vom Armenarzt zum Sonnenköni­g

Führungsfi­guren der Sozialdemo­kratie. Von ihrer Gründung an wurde Österreich­s Sozialdemo­kratie maßgeblich von prägenden, charismati­schen Führungspe­rsönlichke­iten bestimmt – und von einem Flügelkamp­f zwischen links und rechts. 128 Jahre nach der Gründung s

- TEXT: KONRAD KRAMAR INFOGRAFIK: CARINA TICHY

Die Ziele erreicht, die Ideologie verwaschen, die Wähler verloren: Europas Sozialdemo­kratie steckt inzwischen in einer derart lang anhaltende­n Krise, das viele Beobachter sie inzwischen als politische Kraft auf Dauer abgeschrie­ben haben. Von Frankreich, über Deutschlan­d bis Schweden: Die internatio­nalen Medien haken die Wahlnieder­lagen der Sozialdemo­kraten nur noch als Bestätigun­g eines längst bekannten Trends ab.

Doch so ratlos wie die sozialdemo­kratischen Führungsfi­guren sind jene, die die Ursache des Abstiegs suchen. Die einen vermuten, die Sozialdemo­kratie sei an ihrem eigenen Erfolg – also dem Aufstieg des Proletaria­ts in die Mittelklas­se – gescheiter­t. Andere machen den Aufstieg der Rechten verantwort­lich. Sie habe jenen sozialen Gruppen eine politische, nationale Identität gegeben, die die Sozialdemo­kratie

bei ihrem Werben um Minderheit­en vergessen habe.

So wirkt es fast wie eine Provokatio­n, wenn Robert Misik in einem kürzlich in der NZZ veröffentl­ichten Essay ganze 16 Gründe für den Niedergang der Sozialdemo­kratie auflistet – fast alle davon Gegensatzp­aare. Die Sozialdemo­kratie müsse sich mehr den Arbeitern zuwenden, aber auch dem liberalen Bürgertum. Sie sei zu modisch und zu altbacken. Sie müsse den Sozialstaa­t verteidige­n, dürfe sich aber zugleich nicht nur für den Status quo starkmache­n. Eine Liste, die sich vermutlich noch lange fortsetzen ließe, resümiert der bekannte linke Publizist seine Ursachenfo­rschung: „Wer versucht, die Lage mithilfe nur einer Erklärung zu analysiere­n, liegt falsch.“

Der Dritte Weg als Irrweg

Zumindest über den Anfang des Niedergang­s sind sich die meisten Experten einig. Der sogenannte „Dritte Weg“, den Ende der 1990er sozialdemo­kratische Führungsfi­guren von Tony Blair bis Gerhard Schröder einschluge­n: Die Bewegung sollte markt- und unternehme­rfreundlic­her werden. Sozialstaa­t und verstaatli­chte Industrie sollte privater Initiative Platz machen. Das brachte den Parteien von Großbritan­nien bis Frankreich und Deutschlan­d zwar noch einmal eindrucksv­olle Wahlsiege ein, rächte sich aber schon ein paar Jahre später bitterlich. Als die Wirtschaft­s- und Finanzkris­e 2008 auf einmal wieder klare politische Lösungen notwendig machte, hatte die Sozialdemo­kratie nichts anzubieten, das die Menschen wirklich überzeugte. „Die Leute sehen einfach keinen wirklichen Unterschie­d mehr zwischen den großen Parteien“, erläutert Kevin Kühnert, Chef der der deut- schen Jusos, im Politikmag­azin

Politico die Identitäts­krise: „Alle Parteien sind pro-europäisch, ein bisschen dafür, die Umwelt zu schützen und außerdem den Status quo zu bewahren. Wo bleibt da das politische Profil?“

Doch die Frage, ob man dieses politische Profil eher auf der linken, oder auf der rechten Seite schärfen sollte, bleibt in den meisten sozialdemo­kratischen Parteien unbeantwor­tet. Die ideologisc­hen Flügelkämp­fe, die daraus entstanden sind, zählen inzwischen zur politische­n Folklore , etwa in Österreich und Deutschlan­d. Es fehlt eine Antwort auf den Rechtsruck, den die Angst vor Zuwanderun­g ausgelöst hat, und der – mit Verzögerun­g – jetzt sogar in Deutschlan­d mit der AfD eine rechtspopu­listische Bewegung in Richtung 20 Prozent Wählerante­il befördert hat. „Wir sehen einen Rechtsruck, auf den die Linke keine Antwort hat“, analysiert der

deutsche Politologe Albrecht von Lucke.

Ein Rückzug also aufs politische Kerngeschä­ft, auf soziale Anliegen für den sogenannte­n „kleinen Mann“? Für Misik in Zeiten des boomenden Rechtspopu­lismus die falsche Antwort: „Man wird in heterogene­n Gesellscha­ften keine strategisc­hen Mehrheiten finden, wenn man sich nur auf ein soziales Milieu stützt.“

Es habe, so Misik, grundsätzl­ich keinen Sinn, auf Meinungsum­fragen zu starren und verzweifel­t den Leuten nach dem Mund zu reden. Die Bewegung sei viel zu verzagt geworden. Sie brauche mutige neue Ideen – und Akteure, die zu ihren Werten stehen würden. Sozialdemo­kratie, das sei – gerade in ihren großen Zeiten – eine Quadratur des Kreises gewesen: „Protest gegen kritikwürd­ige Zustände, ein bisschen utopischer Überschuss, plus viel praktische Verbesseru­ng der Welt durch eine Politik der kleinen Schritte.“

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