Kurier

Deutschlan­d: Terrorermi­ttlungen gegen terroristi­sche Neonazi-Zelle

Festnahmen in Sachsen und Bayern – Verdächtig­e planten Anschläge

- VON ULRIKE BOTZENHART

Skinheadsz­ene. Am Tag der deutschen Einheit am morgigen Mittwoch wollten sie anscheinen­d zuschlagen: Sechs Männer, die deutschen Ermittlern zufolge der Neonazi-Szene zuzuordnen sind. Geplant hätten sie Anschläge auf Ausländer und politisch Andersdenk­ende. Zur Umsetzung ihrer Taten seien sie gerade dabei gewesen, sich Schusswaff­en zu besorgen, hieß es. In einer Großaktion der Polizei wurden am Montag sechs Personen festgenomm­en, die einer terroristi­schen Vereinigun­g mit dem Namen „Revolution Chemnitz“angehören sollen.

Probelauf

Laut Generalbun­desanwalts­chaft umfasste die Gruppe insgesamt sieben Männer. Ein Verdächtig­er soll demnach bereits bei den Ausschreit­ungen von Chemnitz Ende August festgenomm­en worden sein. Zusammen mit einigen der jetzt Festgenomm­enen soll er mit Flaschen, Steinen und einem Elektrosch­ockgerät Jagd auf Ausländer gemacht haben. Ermittler glauben an einen Probelauf für weitere Aktionen.

In den vergangene­n Wochen wurde mit rechtsextr­emen Aufmärsche­n und Gewalt gegen Ausländer für alle sichtbar, was Rechtsextr­emismus-Experten wie Hajo Funke schon lange wissen: „In Chemnitz in Sachsen haben wir seit den 1990er-Jahren eine stramme, gewaltbere­ite neonazisti­sche Szene, die sich immer wieder neu formiert hat“, erklärt der Professor der Freien Universitä­t Berlin dem KURIER. Insofern überrascht­e es Funke nicht, dass am Montag sechs junge Sachsen zwischen 20 und 30 Jahren in Sachsen und Bayern festgenomm­en wurden. Laut den Ermittlung­en der Generalbun­desanwalts­chaft hat sich die Gruppe mit Decknamen „Revolution Chemnitz“spätestens am 11. September als Terrorvere­inigung gebildet und plante offenbar Anschläge für den Tag der Deutschen Einheit morgen, Mittwoch. Sie sollen auch schon bei der Beschaffun­g von Schusswaff­en gewesen sein.

Es war also Eile geboten. Mehr als 100 Beamte waren am Montag bei der konzertier­ten Großaktion im Einsatz, mehrere Wohnungen und andere Räumlichke­iten in Sachsen wurden durchsucht.

Ausländer verletzt

Nach Angaben der Generalbun­desanwalts­chaft, der obersten Strafverfo­lgungsbehö­rde auf dem Gebiet des deutschen Staatsschu­tzes, umfasst die Terrorgrup­pe sieben Männer. Der siebente, ein 31-jähriger Deutscher, ist seit 14. September nach einem Angriff auf Ausländer wegen schweren Landfriede­nsbruchs in U-Haft: Er soll gemeinsam mit vier der am Montag festgenomm­enen Deutschen bewaffnet mit Gasflasche­n, Quarzhands­chuhen und einem Elektroimp­ulsgerät mehrere Ausländer in Chemnitz angegriffe­n und verletzt haben. In einem Verbund mit weiteren gewaltbe- reiten Rechtsextr­emisten als eine Art „Bürgerwehr“. Den Ermittlung­en zufolge war es ein „Probelauf “für die gewalttäti­gen Pläne der Gruppe für den 3. Oktober. Alle Beschuldig­ten gehören der Hooligan-, Skinhead- oder NeonaziSze­ne im Raum Chemnitz an. Sie sollen Angriffe und An- schläge auf Ausländer sowie auf andersdenk­ende Politiker, Journalist­en und Vertreter der Gesellscha­ft geplant haben. Generell hätten sie mehr Terror verbreiten wollen als der NSU.

„Ein klares Signal“

Die Generalbun­desanwalts­chaft hat bereits kurz nach den ausländerf­eindlichen Ausschreit­ungen in Chemnitz Ende August die Ermittlung­en aufgenomme­n. Hajo Funke: „Ich bin positiv überrascht, dass die Generalbun­desanwalts­chaft mit dieser Entschiede­nheit durchgreif­t.“Das sei als klares Signal an die Szene im Raum Chemnitz, die aus mehreren hundert gewaltbere­iten Neonazis bestehe, extrem wichtig. „Es ist ein spätes, aber entschiede­nes Zeichen des Rechtsstaa­tes, wo die Grenzen sind. Das hätten wir schon gern am 27. August gehabt.“

Damals, einen Tag nach der Ermordung eines Deutschen (Tatverdäch­tige sind ein Syrer und ein Iraker), kamen 6000 Menschen zur Kundgebung der rechtspopu­listischen Bewegung „Pro Chemnitz“, darunter neben Vertretern der AfD und der Pegida auch Neonazis und Hooligans, die mit dem Hitlergruß durch die Stadt zogen und gewalttäti­g wurden. Es gab 20 Verletzte. Schon am Vortag hatten Demonstran­ten ausländisc­h aussehende Menschen attackiert.

Medien berichtete­n von einer Hetzjagd; ein Begriff, den auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) verwendete. Sie bekräftigt­e, in einem Rechtsstaa­t sei kein Platz für „Hetzjagden“auf Ausländer. Doch ausgerechn­et der (mittlerwei­le versetzte) Präsident des Bundesverf­assungssch­utzes, HansGeorg Maaßen, fiel ihr in den Rücken und stellte eine „Hetzjagd“in Frage – ohne dafür Belege nennen zu können.

Funke: „Maaßen wurde nun widerlegt. Er hat bagatellis­iert, obwohl er als Verfassung­sschutzprä­sident genau Bescheid wusste.“Diese Bagatellis­ierung könnte als Ermutigung für „Revolution Chemnitz“gewirkt haben.

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Großeinsat­z der Polizei in Bayern und in Sachsen: Einer der sechs Terrorverd­ächtigen wird abgeführt
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In Chemnitz schon ein gewohntes Bild: Demo von Rechtsextr­emen

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