Abrechnung mit den Jüngern und Erlösern
Kritik. Nicole Heesters in „Marias Testament“in der Josefstadt ist ein Theaterereignis
Es gibt das Privatleben der Mutter Gottes. Und Gott, der nach Nietzsche tot ist, die Gläubigen und die Atheisten.
So rümpft der eine oder andere im Parkett im Theater in der Josefstadt die Nase. Manche denken’s, und einer sagt’s ungefragt als Kommentar – „Das ist blasphemisch!“– nach dem langen Schlussapplaus für Nicole Heesters in dem Ein-Personen-Virtuosenstück „Marias Testament“nach einem Roman des irischen Schriftstellers und Journalisten Colm Tóibín.
Dabei ist der 95-MinutenMonolog für Regisseur Elmar Goerden partout „kein Ritt auf der Blasphemie-Klinge“. Maria blickt schmerzerfüllt zurück auf das Leben, die Leidensgeschichte und die Kreuzigung ihres Sohnes Jesus, dessen Name aber kein einziges Mal genannt wird.
Die Heilige Maria, Ikone der Kirche, ist hier schlicht Mutter. Und erzählt wird in Wahrheit mit dem Zögern, Zaudern und Zweifeln im Rückblick 20 Jahre später von ihrer Beziehung zu einem Kind, das ihr fremd geworden ist. Und ihrem Ärger über den sogenannten „Erlöser“. Denn sie ist skeptisch gegenüber den Wundern, die er angeblich vollbracht hat.
Oder waren es doch nur Taschenspielertricks?
Die 81-jährige Nicole Heesters schildert mit Verve, trotzig und auf begehrend, immer präzise und akzentuiert, dass ihr die Leute auf die Nerven gehen, die ihr erzählen, wie unverzichtbar der Tod ihres Sohnes war.
Und der Satz: „Was aufgeschrieben ist, wird die Welt verändern.“
Sie leidet an der Männergesellschaft, an den Auftritten, an der Politik, an der Folter und am qualvollen Tod ihres einzigen Sohnes, von dem behauptet wird, er sei auch der Sohn Gottes. Oder war er vielleicht doch bloß ein Sonderling, ein begabter Rebell und Menschenfischer, den seine Anhänger als Erlöser feiern?
KURIER-Wertung: